Die Flamme erlischt
›beschützt‹. Von uns beschützt, von Eisenjade beschützt.« »Diese Bedeutung wünschst du dir vielleicht, Jaan«, sagte Gwen mit spitzem, aggressivem Unterton in der Stimme. »Sag ihm ruhig, was es wirklich heißt!«
Dirk wartete überrascht. Vikary verschränkte die Arme, seine Augen wanderten von einem zum anderen. »Nun gut, Gwen, wenn du es so wünschst.« Er wandte sich an Dirk. »Die ältere, vollständigere Bedeutung dieses Wortes ist geschütztes Eigentums Ich kann nur hoffen, Sie fassen das nicht als Beleidigung auf. Denn das ist nicht beabsichtigt. Korariel ist ein Begriff, der Leute bezeichnet, die keinem Festhalt angehören und dennoch bewacht und wertgeschätzt werden.« Dirk erinnerte sich an die Dinge, die ihm Ruark in der vergangenen Nacht erzählt hatte, an Worte, die durch den Dunst des grünen Weines nur undeutlich bei ihm angekommen waren. Er fühlte, wie die Wut sich gleich einer roten Flut in seinem Nacken staute, und kämpfte, um sie niederzuhalten. »Ich bin es nicht gewohnt, Eigentum zu sein«, sagte er bissig, »ganz egal, wie sehr man mich schätzt. Und wovor haben Sie die Güte, mich zu beschützen?«
»Vor Lorimaar und seinem teyn Saanel«, sagte Vikary. Er lehnte sich über den Tisch nach vorn und umfaßte eisern Dirks Arm. »Vielleicht hat Garse das Wort zu voreilig gebraucht, t'Larien. Trotzdem glaubte er, in diesem Moment das Richtige zu tun. Ein überkommenes Wort gegen eine überkommene Auffassung. Falsch – ja, ich sehe ein, was falsch daran ist – ist dieses Wort insofern, weil Sie ein Mensch sind, eine Person, die nur sich selbst gehört. Und doch war es bei einem Mann wie Lorimaar Hoch-Braith angebracht, denn er versteht nur seine eigene Sprache. Wenn Sie dieses Wort so sehr stört, wie ich es auch von Gwen kenne, dann tut es mir schrecklich leid, daß mein teyn diesen Begriff benutzt hat.«
»Nun«, begann Dirk, der vernünftig zu bleiben versuchte und deshalb einlenkte, »ich danke Ihnen für die Entschuldigung, aber sie reicht mir noch nicht ganz. Ich weiß immer noch nicht, was eigentlich los ist. Wer ist Lorimaar? Was wollte er? Und warum soll ich vor ihm beschützt werden?«
Seufzend ließ Vikary Dirks Arm los. »Es wird mir nicht leichtfallen, Ihre Fragen zu beantworten. Ich muß Ihnen von der Geschichte meines Volkes erzählen, jenes bißchen, das ich weiß und vieles, was ich nur vermute.« Er wandte sich an Gwen. »Falls niemand etwas dagegen hat, können wir während der Unterhaltung essen. Holst du uns etwas?« Sie nickte und ging. Einige Minuten später kam sie mit einem großen Tablett zurück, auf dem sich schwarzes Brot, drei Sorten Käse und hartgekochte Eier in leuchtendblauen Schalen türmten. Bier war natürlich auch dabei. Auf die Ellbogen gestützt, lehnte sich Vikary über den Tisch. Während die anderen aßen, sprach er.
»Hoch Kavalaan ist eine Welt voller Gewalt gewesen«, begann er. »Sieht man einmal von der Vergessenen Kolonie ab, so ist sie die älteste der Außenwelten – und jede ihrer zahlreichen Geschichtsaufzeichnungen ist eine Geschichte des Kampfes. Traurig, aber wahr ist, daß unsere Geschichtsschreibung zum großen Teil erfunden ist und aus Legenden besteht, die mit ethnozentrischen Lügen gespickt sind. Dennoch glaubte man diese Schauergeschichten bis in jene Zeit hinein, als nach dem Interregnum wieder Sternenschiffe landeten.
In den Festhalten der Eisenjadeversammlung zum Beispiel lehrte man die Jungen, daß das Universum aus nur dreißig Sternen bestünde, in deren Mitte sich Hoch Kavalaan befände. Von dorther stamme die Menschheit, die mit der Geburt von Kay Eisen-Schmied und dessen teyn Roland Wolf-Jade, die der Vereinigung eines Vulkans mit einem Gewittersturm entwuchsen, ihren Anfang nahm. Dampfend entstiegen sie dem Schlund des Vulkans und traten in eine Welt voller Dämonen und Monster. Viele Jahre wanderten sie umher und mußten mannigfaltige Abenteuer bestehen. Schließlich entdeckten sie eine tiefe Höhle am Fuße eines Berges, und in ihr fanden sie ein Dutzend Frauen, die ersten Frauen auf der Welt. Die Frauen fürchteten sich vor den Dämonen und trauten sich nicht hinaus. Deshalb blieben Kay und Roland, nahmen sich die Frauen mit Gewalt und machten sie zu eyn-kethi. Die Höhle wurde zu ihrem Festhalt, die Frauen schenkten ihnen viele Söhne, und so begann die kavalarische Zivilisation.
Der Pfad nach oben war nicht leicht, heißt es in den Geschichten. Die Jungen, welchen die eyn-kethi das Leben schenkten,
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