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Die Flamme erlischt

Die Flamme erlischt

Titel: Die Flamme erlischt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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Gebäude aus und nahmen die schönsten Skulpturen mit.« »Du hast für Larteyn als Aufenthaltsort gestimmt?« fragte Dirk.
    Sie schüttelte den Kopf. Ihr offenes Haar hob sich leicht und berührte Dirk an der Wange. »Nein«, sagte sie. »Jaan wollte es so, auch Garse. Ich ... ich hätte ebenfalls nicht für den Zwölften Traum gestimmt, fürchte ich. Hier hätte ich niemals leben können. Der Geruch des Verfalls ist zu stark. Ich halte es mit Keats, weißt du. Nichts ist so melancholisch wie sterbende Schönheit. Hier gab es ungleich mehr Schönheit als in Larteyn, obwohl Jaan das nicht gerne hören würde. Deshalb ist es auch der traurigere Ort. Abgesehen davon gibt es in Larteyn wenigstens etwas Gesellschaft, selbst wenn es sich nur um Lorimaar und Konsorten handelt. Hier sind nur noch Geister übriggeblieben.« Dirk sah über das Wasser, wo die große rote Sonne, ihrer Kraft beraubt und gefangen, auf den langsam rollenden Wellen gespensterhaft auf und ab tanzte. Und er konnte die Geister fast sehen, von denen sie sprach, Phantome, die sich an beiden Flußufern drängten und Dingen, die für immer verloren waren, traurige Lieder nachsangen. Und ein Geist gaukelte ganz für ihn allein: ein Lastkahnschiffer von Braque trieb sein Gefährt mit einer langen schwarzen Stange den Fluß herunter. Er kam direkt auf Dirk zu, dieser Lastkahnschiffer, näher und immer näher. Und sein schwarzes Boot lag tief im Wasser, bis zum Rand gefüllt mit Leere.
    Deshalb erhob sich Dirk und zog Gwen mit sich. Er sagte nur, daß er weitergehen möchte. Und sie flohen vor den Geistern auf die Terrasse zurück, wo der graue Gleiter wartete. Dieser hob sie wieder in die Lüfte hinauf, einem Zwischenspiel von Wind, Himmel und stummen Gedanken entgegen. Gwen flog weiter nach Süden und dann nach Osten. Dirk betrachtete alles, brütete vor sich hin und sagte kein Wort. Von Zeit zu Zeit sah sie zu ihm herüber. Obgleich sie es eigentlich nicht wollte, lächelte sie.
     
    Endlich erreichten sie die See. Die Stadt des Mittags lag am Strand einer zerklüfteten Bucht, in der sich dunkelgrüne Wellen an verrottenden Landungsbrücken brachen. Damals hatte man sie Musquel-am-Meer genannt, sagte Gwen, als sie die Stadt in niedrigen, spiralförmigen Schleifen überflogen. Obwohl sie mit den anderen Städten auf Worlorn entstanden war, haftete ihr etwas Uraltes an. Musquels Straßen waren Schlangen mit gebrochenem Rückgrat, gewundene Kopfsteinpflastergäßchen zwischen windschiefen Türmen aus vielfarbigen Backsteinen. Die ganze Stadt bestand aus Backsteinen. Blaue Backsteine, rote Backsteine, gelbe, grüne, orangefarbene Backsteine, bemalte, gestreifte und gesprenkelte Backsteine, zusammengehalten von Mörtel, der schwarz war wie Obsidian oder rot wie Satan über ihnen, zusammengefügt zu grellen, verrückten Mustern. Noch auffälliger waren die bemalten Segeltuchmarldsen vor den Verkaufsbuden, die noch immer die planlos angelegten Straßen säumten oder verlassen auf den längst aufgegebenen Holzpiers standen.
    Sie landeten auf einer Pier, die nicht so baufällig aussah wie die anderen und lauschten einige Zeit den Brechern. Dann schlenderten sie durch die Stadt. Alles leer – nur Staub. Durch die verlassenen Straßen pfiff der Wind, die Kuppeln und Zwiebeltürme standen leer, und die fette rote Sonne oben am Himmel verwusch die einst so prächtigen Farben. Auch die Backsteine verfielen, überall lag ein vielfarbig schillernder Staub in der Luft, der im Hals kratzte. Musquel war nicht für die Ewigkeit gebaut worden, und nun war es schon so tot wie der Zwölfte Traum. »Ganz schön primitiv«, bemerkte Dirk zwischen dem Zerfall preisgegebenen Häusern. Sie standen auf der Kreuzung zweier Gäßchen vor einem tiefen Brunnen, den ein flaches Mäuerchen umgab. Tief unten plätscherte schwarzes Wasser. »Man kommt sich vor, als stünde man inmitten einer Welt, die Raumfahrt noch nicht kennt, und alle Hinweise scheinen dies zu bestätigen. Auf Braque sieht es ähnlich aus, aber mit kleinen Nuancen. Von der alten Technologie sind zwar nur einzelne Stückchen und Bruchteile geblieben, die von der Religion nicht verboten wurden – aber immerhin, es gibt sie. Musquel hingegen sieht so aus, als gäbe es hier überhaupt nichts davon.«
    Sie nickte und strich mit der Handfläche leicht über den Brunnenrand. Ein Schwall von Staub und Steinchen fiel in die Dunkelheit hinab. Dirk bemerkte das stumpfrote Jade-und-Silber an ihrem linken Arm. Er schreckte zurück

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