Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Flamme erlischt

Die Flamme erlischt

Titel: Die Flamme erlischt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
Vom Netzwerk:
Weine bester Jahrgänge nicht nur von den Außenwelten, sondern von allen denkbaren Planeten des menschlichen Einflußbereiches, Welten eingeschlossen, von denen Dirk noch nie etwas gehört hatte. Unter jedem Gericht stand der Name der Ursprungswelt in kleingedruckten Buchstaben. Lange Zeit überlegten sie, was sie bestellen sollten. Schließlich entschloß sich Dirk für Sanddrachen, in Butter geschmort, der von Jamisons Welt stammte, und Gwen bestellte Blaulaich-in-Käse von Alt-Poseidon.
    Der Wein ihrer Wahl war weiß und klar. Als der Robotkellner ihn brachte, steckte er noch in einem Eiswürfel, der erst gespalten werden mußte. Trotzdem war er auf geheimnisvolle Weise flüssig geblieben und recht kalt. Auf diese Art, so beharrte die Stimme, würde er für gewöhnlich serviert. Das Menü wurde auf vorgewärmten, mit Elfenbein verzierten Silberplatten gebracht. Dirk nahm ein klauenbewehrtes Beinchen von seinem Teller, schälte es aus dem Panzer und kostete das weiße, butterweiche Fleisch.
    »Das ist unglaublich«, sagte er, mit dem Kopf seinem Teller zunickend. »Ich habe längere Zeit auf Jamisons Welt gelebt, und die Jamies, die wirklich etwas vom Kochen verstehen, lieben frisch geschmorten Sanddrachen über alles. Und der hier schmeckt so gut wie jeder von dort. Tiefgefroren? Tiefgefroren und hierher verschifft? Teufel, die Emereli müssen eine ganze Flotte im Einsatz gehabt haben, um all das zusammenzutragen, was hier benötigt wurde.«
    »Nicht tiefgefroren«, kam die Antwort. Gwen war es nicht, obwohl sie ihn mit amüsiertem Lächeln musterte. Die Stimme antwortete ihm. »Vor dem Festival besuchte das pi-Emerel-Handelsschiff Blue Plate Special so viele Welten, wie es nur erreichen konnte und sammelte kulinarische Spezialitäten ein. Die Reise war von langer Hand geplant und dauerte dreiundvierzig Jahre, vier Kapitäne und Mannschaften waren daran beteiligt. Letztendlich kam das Schiff nach Worlorn, wo die gesammelten Gerichte in den Küchen und Biotanks von Challenge geklont wurden, um dem Massenandrang der Gäste gewachsen zu sein. So waren hier nicht falsche Propheten am Werk, die Fische und Brotlaibe vervielfachten, sondern die Wissenschaftler von pi-Emerel.« »Das hört sich ziemlich blasiert an«, sagte Gwen kichernd. »Es klingt wie eine vorbereitete Ansprache«, sagte Dirk achselzuckend und wandte sich wieder seinem Essen zu. Inmitten eines Restaurants, das Hunderte aufnehmen konnte, aßen die beiden allein, wenn man von dem Robotkellner und der Stimme absah. Um sie herum standen andere Tische mit dunkelroten Tischtüchern und leuchtend silbernem Geschirr – alle leer. Die Gäste waren vor einem Jahrzehnt gegangen, aber die Stimme und die Stadt hatten unendlich viel Geduld. Später, beim Kaffee (schwarz und stark, mit Sahne und Gewürzen, einer Spezialität von Avalon, wenn er sich recht erinnerte), fühlte sich Dirk entspannt und zufrieden, vielleicht am wohlsten, seit er auf Worlorn eingetroffen war. Jaan Vikary und das Jade-und-Silber – im Schummerlicht des Restaurants glühte die kostbare Schmiedearbeit dunkel und wunderschön, dabei seltsamerweise bar jeder Drohung und Aussage -waren in ihrer Bedeutung ein wenig geschrumpft, jetzt, da er mit Gwen zusammen war. Sie saß im vis-à-vis und sah sehr nahbar aus, wie sie aus ihrem Porzellankrug trank und ihr träumerisches Lächeln lächelte - ganz wie die Jenny, die er gekannt und geliebt hatte, das Mädchen mit dem Flüsterjuwel.
    »Hübsch«, sagte er beifällig nickend und meinte damit die Summe seiner Eindrücke. Gwen nickte zurück. »Hübsch«, stimmte sie lächelnd zu, und Dirk sehnte sich nach ihr. Guinevere mit den großen grünen Augen und dem endlos schwarzen Haar, sie, die für ihn dagewesen war, seine verlorene Seelengefährtin.
    Er lehnte sich vor und starrte in seine Tasse. Aber im Kaffeesatz gab es keine geheimnisvollen Omen zu studieren. Er mußte schon mit ihr reden. »Alles war so schön – heute abend«, sagte er. »Wie auf Avalon.«
    Als sie wieder ihre Zustimmung flüsterte, fuhr er fort. »Ist noch etwas aus jener Zeit zurückgeblieben, Gwen?«
    Sie sah ihm aus gleicher Höhe in die Augen und nippte an ihrem Kaffee. »Das ist keine faire Frage, Dirk, das weißt du. Irgend etwas bleibt immer zurück. Wenn das, was man erlebt hat, aufrichtig war. Sonst kann man es ohnehin vergessen. Aber wenn es echt und tief war, gräbt sich etwas in dir ein. Ein Quentchen Liebe, ein Tröpfchen Haß, Hoffnungslosigkeit, Ärger, Verlangen.

Weitere Kostenlose Bücher