Die Flamme von Pharos
moleskingebundenes Notizbuch und Kohle sowie große Bögen holzhaltigen Papiers, mit dem sich Abklatsche herstellen ließen; dazu zwei Essensrationen und eine mit Wasser gefüllte Feldflasche sowie ein starkes Seil, Fackeln und Streichhölzer; und natürlich den Marinerevolver, den sie während ihres Aufenthalts auf der ›Inflexible‹ erbeutet hatte – die Patronen hatte sie sicherheitshalber aus der Trommel genommen und in einer mit Wachs versiegelten Blechdose verstaut.
Die Kleider, die Sarah während der Überfahrt getragen hatte, ließ sie zusammen mit ihrem Tagebuch und ihrem übrigen Gepäck auf der ›Astarte‹ zurück. Da ihr klar gewesen war, dass ihre Garderobe nichts enthielt, das bei einer Unternehmung wie der bevorstehenden Expedition hilfreich gewesen wäre, hatte sie in Valletta gebrauchte Uniformhosen erstanden, von der Art, wie die britischen Soldaten in Indien sie zu tragen pflegten, und einen örtlichen Schneider gebeten, sie auf ihre Größe zu ändern. Dazu trug sie Reitstiefel aus rotbraunem Leder sowie einen breiten Armeegürtel; eine helle Bluse und ein Halstuch, das sich auch um den Kopf tragen ließ und vor Erkennung ebenso schützte wie vor den Strahlen der Sonne, komplettierten ihr Äußeres, über das du Gard und Hingis nicht wenig staunten, als Sarah sich wieder in der Zentrale einfand.
Der Schweizer Gelehrte sah aus wie gewohnt. Schmale Augen blitzten angriffslustig aus geröteten Zügen, die wie immer aus einem mehr oder minder weißen Kragen lugten – nur auf die Schleife hatte Hingis verzichtet, und auch bei seinem Rock schien es sich um ein älteres, abgetragenes Modell zu handeln. Du Gard hatte dankenswerterweise darauf verzichtet, sich in bunten Samt zu hüllen, und trug eine Jacke aus dunkelbraunem Wildleder, die ihn in Anbetracht seines schulterlangen Haares ein wenig wie einen nordamerikanischen Ureinwohner aussehen ließ.
»Schön«, stellte Sarah fest. »Die Herren sind also bereit?«
»Oui«, bestätigte du Gard. »Ich finde, es wird Zeit, dass wir ein paar Antworten bekommen.«
»Der Ansicht bin ich auch«, bestätigte Sarah grimmig. »Was ist mit Ihnen, Hingis?«
»Was wollen Sie von mir hören?«, schnappte er zurück. »Ich kann weder die Art unserer Anreise gutheißen noch Ihren abenteuerlichen Aufzug. Eine Dame kleidet sich nicht so.«
»Das mag wohl stimmen, Doktor«, räumte Sarah ein, »aber eine Dame pflegt sich gemeinhin auch nicht auf lebensgefährliche Erkundungen einzulassen. Wenn Sie sich so sehr an meiner Kleidung stören, steht es Ihnen natürlich frei, an Bord zu bleiben …«
Sie bemerkte, wie Kapitän Hulot, der an der Wendeltreppe zum Turm stand und immer wieder nervös auf die Uhr blickte, merklich zusammenzuckte – die Aussicht, Hingis weiter an Bord zu behalten, schien ihm nicht zu behagen. Die Sorge war allerdings unbegründet, denn so groß Hingis’ Missmut auch sein mochte – sein Ehrgeiz und seine Geltungssucht waren noch größer.
»Um nichts in der Welt«, gab er bekannt. »Ich habe ein Vermögen ausgegeben und bin auf völlig indiskutable Weise von Marseille hierhergereist, eingesperrt in eine stählerne Röhre und mit einem offenkundigen Betrüger als Quartierskollegen.« Ein geringschätziger Seitenblick streifte du Gard. »Erwarten Sie tatsächlich, dass ich so kurz vor dem Ziel aufgebe? Das könnte Ihnen so passen, wie?«
»Am Ziel sind wir noch lange nicht«, rief Kapitän Hulot in Erinnerung.
»Etwas Neues von den Briten?«, erkundigte sich du Gard.
»Noch ist alles ruhig – ich kann nur hoffen, dass es nicht die Ruhe vor dem Sturm ist. Sollte der Beschuss beginnen, während wir ins Hafenbecken einfahren …«
»Ich weiß«, sagte Sarah nur, und es war ihr anzusehen, wie schwer es ihr fiel. »Sie müssen an Ihr Schiff und seine Besatzung denken.«
»Danke, Lady Kincaid.« Hulot deutete eine Verbeugung an. »Ich weiß Ihr Verständnis sehr zu schätzen. Aber ich versichere Ihnen, dass ich alles Menschenmögliche unternehmen werde, um Sie sicher ans Ziel zu bringen.«
»Ich weiß, Monsieur le Capitaine.« Sie rang sich ein Lächeln ab, das er erwiderte – und der unselige Streit war vergessen.
»Kommen Sie mit«, sagte Hulot und enterte zum Ruderstand auf. Sarah und du Gard folgten ihm, während Hingis es vorzog, in der Zentrale zu bleiben, wo er sich ein wenig sicherer zu fühlen schien.
Durch die Bullaugen schimmerte sanftes, blaugrünes Licht. Die Morgendämmerung hatte eingesetzt, und Streifen von Lilatönen
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