Die Flamme von Pharos
knackten.
»Vater«, flüsterte sie, während ihr Tränen über die Wangen rannen. Es zerriss ihr das Herz, ihn so zu sehen.
»Wollte dich … nicht verletzen«, versicherte Gardiner atemlos. »Musste all das tun … wollte dich schützen …«
»Um mich zu schützen?«, fragte sie. »Wovor, Vater?«
»All diese Dinge … mehr als du ahnst … Aber geirrt, Fehler begangen … nun dafür bezahlen …«
»Was für Fehler? Wovon sprichst du?«
»Hätte dich … einweihen sollen … dir vertrauen wie früher … Kannst du … mir verzeihen?«
»Natürlich«, versicherte sie unter Tränen.
»Musst zu Ende bringen … was ich begonnen … hörst du …?«
Sarah nickte nur, zu Worten war sie nicht mehr fähig.
»Flamme von Pharos … Leuchtfeuer in der Nacht … großes Wissen bringt große Macht … niemals vergessen …«
Erneut erfasste ihn eine Woge von Schmerz, und einen kurzen Augenblick lang befürchtete Sarah, es würde mit ihm zu Ende gehen. Wieder bäumte sich sein geschundener Körper auf, und ein Stöhnen entfuhr ihm, das aus dem tiefsten Grund seiner Seele zu stammen schien. Aber noch war Gardiner Kincaid nicht bereit, diese Welt zu verlassen, noch hatte er nicht alles gesagt …
»Sarah …«
»Ja, Vater?«
»Bin überzeugt … kein Zufall, dass hier … war deine Bestimmung, ebenso wie die meine …« Und indem er doch noch ein Lächeln zustande brachte, fügte er hinzu: »Führe meine Mission fort … suche weiter … nach der Wahrheit …«
»Das werde ich«, versprach sie, was ihm ein Gefühl tiefer Erleichterung zu verschaffen schien. Seine schmerzverzerrten Züge entspannten sich, und er holte tief und rasselnd Luft, sammelte Kraft für seine letzten Worte.
»Noch etwas, Sarah …«
»Was, Vater?«
»Musst … mir verzeihen …«
»Das habe ich bereits getan.«
»Davon spreche ich nicht.« Er schüttelte den Kopf, worauf ein neuerlicher Blutschwall über seine Lippen trat. »Kennst nicht … die ganze Wahrheit …«
»Welche Wahrheit? Worüber?«
»Über das … was gewesen ist … Du bist nicht …«
Seine Rede brach plötzlich ab.
Gardiner Kincaids glasige Augen weiteten sich, und er bedachte Sarah mit einem Blick, den sie nie vergessen würde. Sein Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei, und er richtete sich halb auf – um schon im nächsten Moment zurückzusinken und im Sand liegen zu bleiben, blutüberströmt und reglos.
»Vater?«, fragte Sarah leise.
Sie erhielt keine Antwort mehr, dennoch brauchte sie einen Augenblick, um zu begreifen, dass das Leben aus Gardiner Kincaid gewichen war. Wie erstarrt kauerte sie an seiner Seite, hielt noch immer seine blutige Hand, während die schreckliche Erkenntnis in ihr Bewusstsein einsickerte – und mit ihr die Gewissheit, dass mit dem alten Gardiner auch etwas in ihr gestorben war.
Die Expedition nach Ägypten, die Jagd nach Informationen, die Suche nach dem großen Geheimnis – all das schien mit einem Mal jeden Sinn verloren zu haben, und es kam Sarah vor, als würde sie aus einem Traum erwachen. »Leb wohl, Vater«, flüsterte sie und schloss ihm die Augen. Eine Verzweiflung ergriff von ihr Besitz, wie sie sie noch nie zuvor in ihrem Leben verspürt hatte.
Schwärzer als jede Nacht.
Tiefer als jeder Abgrund.
Der Schmerz war so überwältigend, dass sie glaubte, darüber den Verstand zu verlieren. Aber es gab etwas, das ihren Geist vor dem Absturz in den Wahnsinn bewahrte und das ihr so deutlich vor Augen stand wie einst die Flamme von Pharos den Schiffern auf See.
Der brennende Durst nach Rache …
Nur am Rande nahm Sarah wahr, wie ihre Begleiter näher traten und jeder auf seine Weise dem Toten die letzte Ehre erwies – du Gard, indem er ein leises »Au revoir« murmelte und bittere Tränen vergoss; Hingis, indem er die Hände übereinanderschlug und ein Gebet murmelte; der verletzte Laydon, indem er einfach nur dastand, auf sein Gewehr gestützt, und fassungslos auf den Leichnam starrte. Der notdürftige Verband, den er um seinen Oberschenkel gewickelt hatte, war blutdurchtränkt.
»Sarah«, flüsterte er mit tonloser Stimme, »es tut mir leid …«
»Wie ist es passiert?«, wollte sie wissen.
»Ich weiß es nicht. Sie war plötzlich da …«
»Wer?«
»Diese dunkle Gestalt … Ich hörte ein Geräusch und wandte mich um, aber alles, was ich sah, war ein flüchtiger Schatten. Da spürte ich auch schon den stechenden Schmerz in meinem Bein. Ich sank nieder und verlor für einen Moment das Bewusstsein – als
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