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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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ich wieder zu mir kam, sah ich Gardiner dort liegen …«
    »Ich verstehe.« Sie nickte. »Bist du in Ordnung?«
    »Nur eine Fleischwunde.« Noch sichtlich unter Schock stehend, blickte er an seinem verletzten Bein herab. »Mach dir deswegen keine Gedanken.«
    »Diese dunkle Gestalt, die euch überfallen hat – trug sie einen schwarzen Umhang?«
    »Ich weiß es wirklich nicht.« Der Arzt schüttelte den Kopf, aus seinen Augen sprach nackte Verzweiflung. »Ich allein trage Schuld an dem, was geschehen ist«, hauchte er. »Gardiner war mein Freund. Ich hatte versprochen, auf ihn aufzupassen. Du hast dich auf mich verlassen, und nun …« Tränen stiegen ihm in die Augen, und er senkte demütig das Haupt. »Verzeih mir, mein Kind, ich bitte dich. Verzeih mir, was ich getan habe …«
    »Dich trifft keine Schuld, Onkel Mortimer«, erteilte Sarah ihm die Absolution. »Der Mörder allein hat Gardiner Kincaids Tod zu verantworten – und dafür werde ich ihn zur Rechenschaft ziehen, das schwöre ich beim Leichnam meines Vaters.«
    Wütend wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Das Gewehr, das sich als so nutzlos erwiesen hatte, nahm sie von ihren Schultern und warf es von sich; mit zusammengebissenen Zähnen ging sie daran, die Schnalle von Gardiner Kincaids Waffengurt zu lösen.
    »Chérie«, sagte du Gard und beugte sich zu ihr herab, um sie tröstend zu berühren – aber Sarah wollte keinen Trost. Wenn sie sich dem Schmerz ergab, würde sie nicht tun können, was sie als ihre Pflicht betrachtete …
    Energisch schüttelte sie du Gards Hand von sich ab, und mit einem Ruck zerrte sie den breiten Sam Browne unter Gardiners lebloser Gestalt hervor, an dem das Bowie-Messer und das Holster mit dem Colt Frontier hingen. Dann erhob sie sich und gürtete sich selbst das Leder um, zückte den Revolver und prüfte die Ladung.
    »Qu’est-ce que tu fais?«, erkundigte sich du Gard betroffen.
    »Was wohl?« Aus ihren tränengeröteten Augen schickte sie ihm einen düsteren Blick, ehe sie die Revolvertrommel wieder zurückschnappen ließ und die Waffe holsterte. »Ich werde Vater rächen, wie ich es geschworen habe.«
    »Ein altes Sprichwort sagt, dass derjenige, der Rache üben will, bereit sein sollte, gleich zwei Gräber zu schaufeln«, gab der Wahrsager zu bedenken.
    »Keine klugen Ratschläge, du Gard«, warnte Sarah ihn flüsternd. »Nicht heute …«

9
    Es war Sarah Kincaid bewusst, dass sie die Pforte zum Museion beschritt, jenem sagenumwobenen Ort, der über Jahrhunderte hinweg als verloren gegolten und nun auf geheimnisvolle Weise wieder aus der Dämmerung der Zeit aufgetaucht war.
    Aber es war ihr gleichgültig.
    Es scherte sie nicht, dass dies die Stätte war, an der die Idee von einer universalen Bibliothek geboren worden war und an der Gelehrte wie Euklid, Eratosthenes und Archimedes gewirkt hatten. Nur zwei Gefühle beherrschten sie, während sie die von Säulen getragene Eingangshalle durchschritt: die Trauer um ihren Vater, dem es nicht vergönnt gewesen war, das Ziel seiner Mühen mit eigenen Augen zu sehen – und der Hass auf seinen Mörder.
    Natürlich wusste Sarah nicht mit Bestimmtheit, wer die Bluttat begangen hatte, aber sie hatte jemanden im Verdacht – jenen ebenso geheimnisvollen wie grausamen Vermummten, dem sie selbst wiederholt begegnet war. ›Charon‹ hatte ihr Vater ihn genannt, und ein Totenschiffer schien er in der Tat zu sein. Bei ihr und du Gard hatten seine Fertigkeiten versagt, aber bei Pierre Recassin und vermutlich auch bei ihrem Vater hatte er sein Mordwerk erfolgreich verrichtet – und dafür würde er bezahlen.
    Von Rachegelüsten beseelt, ging Sarah weiter, die Hand immer wieder am Griff der Waffe. Es war Gardiner Kincaids Pragmatismus zuzuschreiben, dass er seine Tochter nicht nur in fremden Sprachen und Belangen der Wissenschaft unterrichtet hatte, sondern auch darin, sich ihrer Haut zu erwehren. Niemals hätte sie jedoch gedacht, dass sie diese Kenntnisse einst dazu einsetzen würde, seinen Tod zu rächen.
    Der Donner, der das Gewölbe wieder und wieder erschütterte, wurde lauter wie bei einem heranziehenden Gewitter. Die Bombeneinschläge kamen näher, aber auch das nahm Sarah in ihrem Schmerz und ihrer Verzweiflung nicht wirklich wahr.
    Sie passierte zwei Hallen, die von Säulen gesäumt wurden und in denen vermutlich einst die Schreiber ihrer Arbeit nachgegangen waren. In der gewölbten Decke gab es quadratische Öffnungen von rund zwei Yards Kantenlänge, die mit

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