Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
fortgeschrittenen Zerfalls.
    Die hölzernen Deckel waren längst verfault, ebenso wie der Papyrus im Inneren. Die aus Pergament gefertigten Bände hatten der Feuchtigkeit zwar länger widerstanden, allerdings nicht die Tinte, mit der sie beschrieben worden waren.
    Die Erkenntnis war niederschmetternd.
    Dies war das Museion, die sagenumwobene Bibliothek Alexandrias, die den Brand der Stadt entgegen der historischen Überlieferung überdauert und sich allen Kriegen und Naturkatastrophen zum Trotz bis in die Gegenwart erhalten hatte – aber es war nichts als nackter Stein geblieben. Was den Wert einer Bibliothek ausmachte und sie mit Leben füllte, nämlich das niedergeschriebene Wissen vorangegangener Generationen, war längst verloren gegangen, aufgefressen vom Zahn der Zeit, der stetig daran genagt hatte.
    Die Großmeister von Malta waren die Letzten gewesen, die um die Existenz der Bibliothek gewusst hatten; nach ihrem Untergang jedoch war sie in Vergessenheit geraten, und der Zerfall hatte seinen Lauf genommen. Zwar hatten ihre Erben das Geheimnis gehütet, jedoch ohne seinen Kern zu kennen – Steine eines Mosaiks, die nicht ahnen konnten, was der Sinn des großen Ganzen war.
    Das also war die Wahrheit hinter Alexandria.
    Die Wirklichkeit hinter dem Mythos.
    Benommen sank Sarah nieder und strich sich das von Sand und Blut verschmutzte Haar aus dem Gesicht. Dafür, sagte sie sich, hat mein Vater also sein Leben geopfert – für ein paar Hände voll Dreck, die sich wie eine Verspottung all dessen ausnehmen, wofür er je gekämpft hat.
    Nicht nur, dass er nicht mehr unter den Lebenden weilte – Gardiner Kincaid war auch völlig sinnlos gestorben, für etwas, das seinen Wert schon vor langer Zeit verloren hatte …
    Das Gesicht in die schmutzigen Hände vergraben, kauerte Sarah auf dem Boden und wusste nicht, ob sie darüber lachen oder weinen sollte. All ihr Bemühen war vergeblich gewesen; weder hatte sie ihren Vater retten können, noch war es ihr gelungen, seine Mission erfolgreich zu beenden. Zwar hatte sie gefunden, wonach er sein Leben lang gesucht hatte, doch das Ergebnis war ernüchternd.
    Gardiner Kincaid war es nicht mehr vergönnt gewesen, die Bibliothek von Alexandria mit eigenen Augen zu sehen – und fast beneidete ihn Sarah dafür …
    Ein dumpfer Donnerschlag brachte sie wieder zurück ins Hier und Jetzt. Etwas rieselte auf sie herab, und sie stellte fest, dass es Mörtel war, der von der hohen Decke bröckelte.
    »Wir sollten fort von hier«, rief Mortimer Laydon nervös zu ihr herüber. »Wenn das Gewölbe nachgibt …«
    Gleichgültig zuckte Sarah mit den Schultern.
    Wenn die Halle tatsächlich einstürzte, just in diesem Augenblick, und alles unter sich begrub – es wäre ihr egal gewesen. Fast alles, was ihr je etwas bedeutet hatte, hatte sie verloren …
    Mehrere Granaten schlugen hintereinander ein und entfesselten ein wahres Crescendo von Detonationen, das bis tief unter die Erde zu spüren war. Der Boden wankte, und die Risse weiteten sich noch mehr, Mörtel platzte von der Decke und fiel zu Boden, wo er in tausend Bruchstücke zersprang. Staub erfüllte die Luft, die unter dem Dröhnen der Einschläge erzitterte.
    »Das Gewölbe! Es stürzt ein«, rief Hingis entsetzt, und sie schirmten die Köpfe mit den Armen ab, auch wenn es im Ernstfall herzlich wenig genutzt hätte. Im nächsten Moment jedoch verebbte das Bombardement, und die Gefährten glaubten aufatmen zu können – als sie plötzlich ein fernes Rauschen hörten, das sich mit jedem Augenblick intensivierte …
    »Was ist das?«, fragte Mortimer Laydon und schaute sich suchend um. Er konnte die Quelle des Geräuschs jedoch nicht ausmachen, das immer mehr zunahm und sich zu einem unheimlichen Rumoren steigerte. Der Boden unter ihren Füßen begann zu beben, und aus dem gegenüberliegenden Ausgang der Halle drang den Gefährten feuchte Luft entgegen, die nach Salz und Seetang roch.
    »Wasser«, ächzte Sarah, der in diesem Moment dämmerte, was der Grund des Rauschens war – und schon einen Herzschlag später brach ein Schwall grünbrauner Gischt durch die Pforte.
    Hingis, der noch immer benommen auf dem Boden gekauert hatte, sprang entsetzt auf. Den Sand, der im Lauf von Jahrhunderten eingedrungen war, vor sich hertreibend, hatte die Welle schon Sekunden später das hintere Ende der Halle erreicht. Ein Teil der Flut plätscherte durch den Eingang und verschwand, ein anderer schwappte von den Wänden zurück und setzte den Boden

Weitere Kostenlose Bücher