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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Göttern und Menschen wandelten wir auf Erden, aber die Sterblichen dankten es uns schlecht. Sie nannten uns Zyklopen und verstießen uns, jagten uns, bis nur noch wenige von uns am Leben waren. Über all die Jahrhunderte haben wir uns verborgen, nun jedoch sind wir zurückgekehrt.«
    »Wozu?
    »Um einzufordern, was den Menschen einst gegeben wurde und sie in ihrer Dummheit sträflich missbrauchten – göttliches Wissen.«
    »Du bist wahnsinnig«, stellte Sarah fest, die den Glanz im Auge des Zyklopen wohl bemerkte.
    »Glaubst du?« Zu Sarahs Verblüffung lächelte der Hüne. »Dabei solltest gerade du mich verstehen, Sarah Kincaid, denn …«
    Weiter kam er nicht.
    Ein peitschender Knall erklang, der sowohl Sarah als auch ihren Peiniger zusammenzucken ließ.
    Charon stand wie vom Donner gerührt. Seine Lippen bebten, aber er brachte keinen Laut mehr hervor. Stattdessen rannen plötzlich dünne Blutfäden aus seinen Mundwinkeln.
    Sarah registrierte, dass der Druck hinter der Klinge nachließ. Sie nutzte die Gunst des Augenblicks und schlug die Waffe beiseite, zog sich rückwärts über den Boden kriechend zurück.
    Aber der Zyklop machte weder Anstalten, sie aufzuhalten, noch ihr zu folgen. Die Sichelklinge entrang sich seinem Griff und fiel klirrend zu Boden, der Blick seines einen Auges trübte sich ein und schien in weite Ferne zu reichen.
    Ein zweiter Schuss krachte, und der massige Körper kippte nach vorn. Hart schlug er in den Sand und blieb leblos liegen, der Umhang im Rücken blutgetränkt.
    Verblüfft blickte Sarah auf und sah Mortimer Laydon, der nur wenige Schritte hinter dem Hünen stand, mit blutigem Bein und das Gewehr noch im Anschlag, aus dessen Lauf blauer Rauch kräuselte. Der Blick, mit dem er Sarah bedachte, war unmöglich zu deuten.
    »Es ist vorbei, mein Kind«, erklärte er, während er die Waffe langsam sinken ließ. »Dein Vater ist gerächt …«
    Sarah nickte krampfhaft, während sie weiter wie gebannt auf den Leichnam starrte. Sie hatte angenommen, dass sie sich besser fühlen würde, wenn der Mörder Gardiner Kincaids nicht mehr unter den Lebenden weilte, dass sein Tod ihr ein wenig Trost verschaffen würde – aber das war nicht der Fall. Der Verlust ihres Vaters schmerzte Sarah noch immer, daran hatte auch Charons gewaltsames Ende nichts geändert. Nur ihr Hass war schlagartig verschwunden. Statt seiner fühlte Sarah trostlose Leere.
    Erneut hallte das Gewölbe von Detonationen wider. Schwerfällig raffte sich Sarah auf die Beine, den Revolver ihres Vaters steckte sie mit zitternder Hand zurück ins Holster. Ihr verletzter Arm hing reglos an ihr herab, der rechte Ärmel ihrer Bluse war rot von Blut.
    Laydon humpelte zu ihr und ging daran, aus dem anderen Ärmel einen Verband anzufertigen, den er um ihre Schulter legte, um die Blutung zu stillen. Wie er mit geübtem Blick feststellte, war die Klinge des Zyklopen nicht sehr tief eingedrungen, sodass keine irreparablen Schäden bleiben würden – aber auch das konnte Sarah nicht trösten.
    Besorgt schaute sie sich nach du Gard und Hingis um. Den Schweizer fand sie am Fuß einer Säule kauernd, das Gesicht leichenblass und das Hemd mit Erbrochenem besudelt. Seinen verstümmelten Arm in der Achselhöhle verbergend, starrte er blicklos vor sich hin.
    Du Gard war gerade dabei, sich von dem vernichtenden Schlag zu erholen, der ihn zu Boden geschickt hatte. Eine Platzwunde klaffte an seiner Stirn. Laydon schleppte sich auch zu ihm, um ihn notdürftig zu versorgen.
    »So also endet die Expedition«, stellte Sarah ernüchtert fest.
    Den brennenden Wundschmerz so gut wie möglich ignorierend, durchquerte sie die Halle und trat an eine der Nischen. Aus der Distanz betrachtet, hatte das Leder der Folianten makellos gewirkt, aus der Nähe konnte man jedoch erkennen, dass Charon recht gehabt hatte. Die Feuchtigkeit der Tiefe hatte sich verheerend ausgewirkt.
    Entschlossen griff Sarah nach einem der kleineren Bände und wollte ihn aus dem Regal ziehen. Das poröse Leder gab nach und riss entzwei, und was zwischen den Buchdeckeln hervorquoll, war wenig mehr als eine übel riechende graue Masse.
    »Nein«, hauchte Sarah und griff in den zähflüssigen Brei, als könnte sie noch etwas davon bewahren, aber die Überreste des einstmals so stolzen Wissensschatzes zerrannen ihr zwischen den Fingern. Angewidert wandte sie sich den Kodizes zu, die sich auf der gegenüberliegenden Seite in den Nischen stapelten, aber auch diese befanden sich in einem Stadium

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