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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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London zu schicken? Und vor allem: Wo war er?
    Wohin war Gardiner Kincaid gegangen, nachdem er Paris verlassen hatte? Wo hielt er sich gegenwärtig auf? Und worin bestand die Gefahr, die ihm angeblich drohte?
    Mit der Macht der Vernunft kämpfte Sarah die Furcht nieder, die in ihr aufkommen wollte. Sie hatte Angst um ihren Vater, aber natürlich wusste sie auch, dass diese Angst von der Ohnmacht herrührte, die sie empfand. Zu wissen, dass der alte Gardiner in Gefahr schwebte, ohne ihm helfen zu können, war beinahe noch schlimmer, als überhaupt nichts von ihm zu wissen. So vage die Informationen auch waren, die sie bekommen hatte, sie wollte sie nutzen, um ihren Vater zu finden und ihn zu warnen. Vorausgesetzt, es war noch nicht zu spät …
    Du Gard hatte weder gesagt, wann die Ereignisse eintreffen würden, die er in seiner Vision gesehen hatte, noch ob sie sich verhindern ließen, und Sarah hatte wohlweislich nicht danach gefragt. Es war ihr gleichgültig, wie ihre Chancen standen. Niemand konnte sie davon abhalten, ihren Vater zu suchen.
    Nicht einmal ihr Vater selbst …
    Während sie von Strömen ausgelassener Menschen durch die Gassen des Viertels gedrängt wurde, dachte Sarah über die Symbole nach, die in die Flächen des Würfels eingraviert waren: Die ersten fünf Buchstaben des griechischen Alphabets, dazu ein weiteres Zeichen, das Sarah zwar nicht kannte, das aber dennoch nicht einer gewissen Vertrautheit entbehrte. Hätte sie die Herkunft einordnen müssen, hätte sie den Stil als frühorientalisch beschrieben – hethitisch, möglicherweise auch assyrisch oder babylonisch.
    Aber was sagte das über den Würfel selbst?
    Welchem Zweck diente das Artefakt, das ihr Vater wie seinen Augapfel gehütet zu haben schien?
    Warum hatte Gardiner ihr keine Nachricht hinterlassen, ihr nicht wenigstens mit knappen Worten beschrieben, worum es sich dabei handelte? Aus Zeitmangel? Aus Gründen der Sicherheit?
    Mit Unbehagen erinnerte sich Sarah, dass du Gard ihren Vater als gehetzt und furchtsam beschrieben hatte. Angst war etwas, das in ihrer Vorstellung nicht zu Gardiner Kincaid passte. Aber natürlich war auch ihr Vater nur ein Mensch, und eine böse Ahnung beschlich sie, dass er sich mit Mächten eingelassen haben mochte, die sowohl seine Fähigkeiten als auch seinen Mut weit überstiegen. Und noch während Sarah sich fragte, wie all das zusammenhing, bemerkte sie, dass das Gelächter und die Stimmen um sie herum verebbt waren, ebenso wie die blechernen Klänge der Musik.
    Der Pulk der Vergnügungshungrigen, der sie erfasst und mitgerissen hatte, war in einem der zahllosen Lokale verschwunden, und so fand sich Sarah allein inmitten einer schmalen Gasse, die sich zwischen verkommenen Fassaden erstreckte und deren einzige Beleuchtung das blasse Mondlicht war, das zwischen den Dächern hindurchsickerte.
    Befremdet blickte sich Sarah um und stellte fest, dass sie sich verlaufen hatte. Statt dem Menschenstrom nur eine Häuserzeile weit zu folgen, wie sie es beabsichtigt hatte, war sie in Gedanken versunken am Droschkenstand vorbeigegangen und ohne es zu wollen tief in die wirren, dunklen Eingeweide des Montmartre gelangt.
    Je mehr ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, desto deutlicher ging Sarah auf, dass sie keineswegs so allein war, wie sie zunächst angenommen hatte. Denn in Nischen und Kellerlöchern hockten elend aussehende Gestalten, die die Kehrseite von Genusssucht und Völlerei verkörperten. Sarah sah in Fetzen gehüllte Kinder mit tief liegenden Augen und hohlen Wangen, die sich weinend an ihre Mütter drängten; Betrunkene, die in Hauseingängen lungerten und sinnloses Zeug brabbelten; Männer mit tief in die Stirn gezogenen Hüten, deren von Narben entstellte Gesichter nichts Gutes verhießen; schließlich eine langhaarige Gestalt, deren Geschlecht nicht eindeutig zu bestimmen war. Mit ihrem zahnlosen Mund, aus dem der Gestank von Fäulnis und billigem Fusel drang, grinste sie Sarah an, während der Blick ihrer milchigen Augen geradewegs durch sie hindurchzugehen schien.
    »Na, schönes Kind? Suchst du Vergnügen? Ich fürchte, hier wirst du es nicht finden …?«
    Er oder sie kicherte geistlos, worauf sich Sarah erschrocken zurückzog – nur um mit dem Stiefelabsatz auf etwas zu treten. Ein durchdringendes Quieken war zu vernehmen, und ein Rudel grauer, gedrungener Körper huschte über das schmutzige Pflaster davon, die dünnen Schwänze hinter sich herziehend.
    Ratten …
    Sarah verzog das

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