Die Flamme von Pharos
es sich einzugestehen, aber sie fühlte sich von diesem Mann auf eigenartige Weise zugleich angezogen und abgestoßen – und vermutlich hatte sie sich ihm schon weiter genähert, als gut für sie war …
»Wie haben Sie meinen Vater kennen gelernt?«, fragte sie, um das Thema zu wechseln.
»Das liegt einige Jahre zurück. Soweit ich weiß, weilte der gute Gardiner damals wegen einer Vorlesungsreihe in Paris.«
»Wie sind Sie ihm begegnet?«
»Eigentlich war es eher umgekehrt.« Du Gard grinste. »Ihr Vater ist mir begegnet, und zwar gerade im rechten Augenblick.«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Damals verdiente ich meinen Lebensunterhalt als Wahrsager für wohlhabende Pariser Bürger«, erklärte du Gard. »Bedauerlicherweise war eine meiner Kundinnen über das, was ich ihr zu erzählen hatte, so erbost, dass sie mir ihre gesamte Dienerschaft auf den Hals hetzte, einschließlich eines sehr schlagkräftigen Kutschers und eines mit einer Mistgabel bewaffneten Stallknechts.«
»Und was ist dann passiert?«, wollte Sarah wissen.
»Alors, während ich Hals über Kopf flüchtete, lief ich einem Mann in die Arme, einem Engländer, der offenbar fremd in der Stadt war, der meine missliche Lage jedoch sofort erkannte. Freundlicherweise bot er mir an, mich in seiner Droschke vor der wütenden Meute zu verstecken, und so kam ich ungeschoren davon.«
»Und dieser Engländer – war mein Vater?«
»C’est ça. Gardiner und ich kamen ins Gespräch und verstanden uns so gut, dass wir uns fortan nie mehr aus den Augen verloren haben.«
»Seltsam, dass er Sie nie erwähnt hat …«
»Wer weiß?« Du Gard zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wollte er seine Tochter nur vor meinem Einfluss bewahren. Ich nehme es ihm nicht übel, denn an jenem Tag hat er mir – wie soll ich es bildlich ausdrücken? – den Allerwertesten gerettet.«
»Das war ziemlich bildlich«, bestätigte Sarah. »Warum waren diese Leute denn hinter Ihnen her? Geben Sie es zu, Sie haben die arme Frau nach Strich und Faden betrogen.«
»Keineswegs, ma chère«, antwortete du Gard unerwartet ernst, »ich habe ihr die Wahrheit gesagt, aber sie wollte sie nicht hören.«
»Nämlich?«
»Dass ihr Ehemann ein gern gesehener Gast in den Freudenhäusern dieser Stadt wäre und es nicht mehr lange dauern würde, bis er ihr Vermögen durchgebracht hätte.«
»Das haben Sie ihr gesagt?« Sarah hob die Brauen. »Kein Wunder, dass Sie Ihnen die Dienerschaft auf den Hals gehetzt hat.«
»Die Wahrheit, ma chère, ist ein zweischneidiges Schwert. Die meisten Menschen würden von sich behaupten, auf der Suche nach ihr zu sein, aber nur wenige können mit ihr umgehen. Denn wie ich schon sagte, erfordert es großen Mut.«
»Warum betonen Sie das immer wieder? Glauben Sie, dass ich auch nicht mit der Wahrheit umgehen kann?«
»Je ne sais pas«, gestand der Franzose offen. »Aber ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen.«
»Ich brauche Sie nicht zu überzeugen«, brachte Sarah in Erinnerung. »Mein Entschluss steht bereits fest. Ich werde alles daran setzen, meinen Vater zu finden.«
»Und dann?«
»Werde ich ihn warnen.«
»Und wenn das, was ich in meiner Vision gesehen habe, unabänderlich feststünde? Wenn es nicht mehr zu ändern wäre, was immer Sie auch unternehmen?«
»Selbst dann würde ich es tun«, antwortete Sarah voller Überzeugung. »Nach allem, was ich erfahren habe, kann ich nicht einfach nach England zurückkehren, verstehen Sie das nicht?«
»Ich verstehe durchaus, ma chère«, versicherte du Gard. »Ich wollte nur wissen, wie ernst es Ihnen damit ist.«
»Verdammt ernst«, betonte Sarah und ballte entschlossen die Faust, »und wenn es meinen Vater betreffend noch etwas gibt, das Sie mir zu sagen haben, dann bitte ich Sie inständig …«
»Non, ich habe Ihnen alles gesagt, was Ihr Vater mir aufgegeben hat«, wehrte du Gard ab und strich sich über sein bartloses Kinn. »Aber vielleicht kann ich Ihnen anders helfen …«
»Wie denn? Ich habe den ganzen Tag über recherchiert, ohne den geringsten Erfolg. Dieser Würfel gibt mir Rätsel auf. Er ist die einzige Spur, die mein Vater hinterlassen hat, aber ein Artefakt wie dieses habe ich noch nie gesehen.«
»In diesem Fall sollten sie vielleicht einfach abwarten.«
»Abwarten? Ist das Ihre ganze Weisheit?« Sarah schnaubte. »Ich habe keine Zeit zu verlieren. Mein Vater schwebt in Lebensgefahr, und ich werde nicht untätig abwarten, bis er …«
»Manche Rätsel pflegen sich von
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