Die Flamme von Pharos
flackerndem Irrlicht und der Einsamkeit der Nacht, war davon nichts zu spüren. Sarah fühlte sich frei und lebendig, und obwohl sie sich sträubte, es sich einzugestehen, stand fest, dass du Gard diese Veränderung bewirkt hatte.
Mit einem Lächeln auf den Lippen wandte sie sich ihm zu. Zärtlich strich sie eine Haarsträhne aus seinem blassen Gesicht, während sie sich fragte, wie man gleichzeitig solche Abneigung und solches Zutrauen zu jemandem empfinden konnte, den man bis vor wenigen Tagen noch nicht einmal …
Sarahs Gedanke riss wie ein dünner Faden, und schon einen Lidschlag später war er ohne Bedeutung. Denn urplötzlich erkannte sie, dass du Gard und sie nicht allein im Zimmer waren.
Ein greller Blitzstrahl, der von Donner begleitet aus dem nächtlichen Himmel fuhr, beleuchtete die Kammer und riss eine hünenhafte Gestalt aus der Finsternis, die schweigend in der Ecke gestanden und gelauert hatte.
Sarah öffnete den Mund zu einem entsetzten Schrei, der ihre Kehle jedoch nicht verließ. Eine grobe Pranke schoss heran und versiegelte ihre Lippen. Gleichzeitig erhellte ein weiterer Blitz das Zimmer, sodass Sarah einen Sekundenbruchteil lang das Gesicht des Eindringlings erkennen konnte.
Zu ihrem Entsetzen – sah sie nichts.
Der Hüne trug eine Kapuze, deren Schatten seine Züge verhüllte. Eine Aura von Kälte schien ihn zu umgeben, genau wie in jener Nacht, in der Sarah auf dem Montmartre von einer dunklen Gestalt verfolgt worden war …
Sie wehrte sich nach Kräften, schlug mit geballten Fäusten auf ihren Peiniger ein, der jedoch nicht nachgab und sie mit einer Pranke niederdrückte, während die andere sie weiter am Schreien hinderte. Plötzlich spürte Sarah, wie ihr etwas Feuchtes, Kaltes auf Mund und Nase gepresst wurde. Instinktiv hielt sie den Atem an, aber infolge des Schocks, unter dem sie stand, und ihres rasenden Herzschlags hielt sie nicht lange durch.
Ächzend schnappte sie nach Luft. Der beißende Geruch des Äthers stach ihr in die Lungen und fuhr wie ein Messer durch ihre Eingeweide. Sie merkte, wie ihre Sinne sich eintrübten, und nahm nur noch wie durch dichte Schleier wahr, dass du Gard erwachte.
Sarah war gerade noch lange genug bei Bewusstsein, um zu sehen, dass die dunklen Pranken auch ihn ergriffen – dann hatte sie erneut das Gefühl, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen.
Und diesmal gab es nichts, das ihren Sturz auffing.
2. BUCH
IN DER TIEFE
1
Das Erwachen war hässlich.
Modriger Geruch drang an Sarahs Bewusstsein und holte sie aus der Bewusstlosigkeit – in die sie sich am liebsten wieder geflüchtet hätte, als sie den hämmernden Schmerz in ihrem Kopf verspürte. Ein Stöhnen entrang sich ihrer Kehle, so tonlos und heiser, dass sie selbst darüber erschrak. Blinzelnd öffnete sie die Augen, in der schwachen Hoffnung, dass alles nur ein schrecklicher Albtraum wäre – aber diese Hoffnung war vergeblich.
Zunächst sah Sarah nichts als tiefe Schwärze, in der hier und dort gelbe, verschwommene Lichter flackerten. Erst ganz allmählich traten Einzelheiten hervor und machten ihr die Ausweglosigkeit ihrer Lage deutlich.
Sie saß auf einer Art steinernem Thron, gegen kalten Fels gelehnt und mit im Rücken gefesselten Händen. Auch um ihre Fußgelenke hatte man derbe Lederschnüre geschlungen, so eng, dass sie tief einschnitten und zusätzliche Schmerzen verursachten.
Soweit Sarah es erkennen konnte, befand sie sich in einer oval geformten Höhle, deren Wände allerdings künstlich behauen waren. Darin eingelassen waren unzählige mit Inschriften versehene Steintafeln, was den Schluss nahelegte, dass es sich bei dem Gewölbe um eine Grabkammer oder Gruft handelte. Unterhalb der Fackeln, die das längliche Rund säumten, standen aus Stein gehauene Sitze wie der, auf dem Sarah hockte; in der Mitte des Gewölbes hingegen erhob sich etwas, das wie ein Opferstein aussah, zylindrisch geformt und an die drei Fuß hoch, mit einer Vertiefung in der Oberseite.
Mehr noch als der Zylinder selbst erregte das Zeichen Sarahs Aufmerksamkeit, das in die Vorderseite der Stele eingemeißelt war – denn es war jenes elliptische Symbol, das auch auf der sechsten Seite des Kubus prangte und dessen Herkunft und Bedeutung ihr bislang verborgen geblieben war.
Vielleicht, dachte Sarah trotz ihrer Benommenheit und der Schmerzen, die ihren Schädel als Nachwirkung des Äthers malträtierten, würde sich das Rätsel nun bald lösen …
Sie fror erbärmlich in dem
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