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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Nachthemd, das sie noch immer trug und das von Schmutz und Blut besudelt war. Wie lange sie schon gefangen war, wusste Sarah nicht zu sagen; auch war sie nicht in der Lage zu bestimmen, ob es noch immer Nacht oder schon Tag war. Überhaupt hatte sie keine Ahnung, wie sie an diesen düsteren Ort gelangt war – und wo genau sie sich befand? War da nicht fernes Meeresrauschen zu vernehmen? Oder war es nur das eigene Blut, das sie in ihrem Kopf rumoren hörte? Das Letzte, woran Sarah sich erinnerte, waren die Pranke ihres Häschers und der beißende Geruch des Äthers – dann war Dunkelheit über sie gekommen.
    Erneut blinzelte sie. Der Schmerz und die Erschöpfung drohten sie wieder in den Schlund der Ohnmacht zu reißen, aber sie zwang sich dazu, bei Bewusstsein zu bleiben.
    Sie wollte wissen, wem sie diese missliche Lage zu verdanken hatte. Wohin war sie verschleppt worden? Und was war mit Maurice du Gard geschehen? Die Erinnerung an ihre gemeinsame Nacht schien mit jedem Augenblick weiter zu verblassen …
    Erneut drohten sich Sarahs Gedanken in tiefe Abgründe zu verirren, als sie plötzlich das Geräusch von Stiefeltritten vernahm, die sich über feuchten Stein näherten.
    »Wer ist da?«, fragte sie halblaut und war entsetzt über die Laute, die aus ihrer Kehle drangen.
    Sie erhielt keine Antwort, dafür bekam sie Gesellschaft in ihrem düsteren Gefängnis. Sie spürte einen eisigen Luftzug, und einen Lidschlag später trat eine dunkle, monströse Gestalt an ihr vorbei in die Mitte des Gewölbes. Zunächst konnte Sarah den Besucher nur von hinten sehen, aber der schwarze Umhang, der ihn umwehte, sowie die Aura der Kälte, die ihn zu umgeben schien, weckten unliebsame Erinnerungen …
    Der Fremde erreichte den Opferstein, blieb kurz davor stehen und deutete eine Verbeugung an. Dann wandte er sich zu Sarah um, die einmal mehr erkennen musste, dass ihr unheimlicher Peiniger kein Gesicht besaß. Die Kapuze des Umhangs fiel so tief in sein Gesicht, dass die Züge darunter nicht zu sehen waren. In Höhe seines Herzens prangte auf dem sonst rabenschwarzen Stoff des Umhangs noch einmal das elliptische Symbol, das Sarah in ihrer Benommenheit wie ein glotzendes Auge erschien.
    »W-wer sind Sie?«, presste sie mühsam hervor.
    »Nur, damit keine Missverständnisse aufkommen, Lady Kincaid – die Fragen stelle ich«, entgegnete der Vermummte mit tiefer Stimme, die mit einem fremdartigen Akzent behaftet war. »Ihre Situation ist weder dazu angetan, Fragen zu stellen noch irgendwelche Forderungen anzubringen.«
    Wer, zum Henker, ist der Kerl, fragte sich Sarah. Wieso verbirgt er sein Gesicht? Und woher kennt er meinen Namen …?
    »Wo ist du Gard?«, erkundigte sie sich trotz der Warnung.
    »Später«, drang es barsch unter der Kapuze hervor. »Glauben Sie mir, Ihr wahrsagender Freund ist Ihre geringste Sorge.«
    »Wirklich?« Trotz der Schmerzen, die sie quälten, rang sich Sarah ein Grinsen ab. »Und ich dachte, ich wäre zum Vergnügen hier.«
    »Das Spotten wird Ihnen noch vergehen«, orakelte der Hüne. »In Ihrem Tatendrang haben Sie sich in Angelegenheiten gemischt, die Ihnen besser für immer verborgen geblieben wären.«
    »Was Sie nicht sagen.«
    »Sie sind wie ein ungehorsames, störrisches Kind. Aber Ihre Neugier wird schon bald befriedigt werden – für immer.«
    »Wer sind Sie, verdammt?«, wollte Sarah wissen. »Warum haben Sie mich entführt? Und wo, in aller Welt, bin ich hier? Ich verlange meine Freilassung, und zwar sofort!«
    Der Vermummte lachte auf. »Was Sie verlangen, interessiert uns nicht. Mit wem, glauben Sie, haben Sie es zu tun? In kindlicher Neugier betrachten Sie die Welt und stellen alle möglichen Fragen – dabei fürchten Sie sich vor den Antworten.«
    »Ich fürchte mich nicht«, behauptete Sarah trotzig.
    »Glauben Sie das wirklich?« Der Vermummte lachte erneut. »Sich selbst können Sie betrügen, aber nicht uns. Wir kennen Ihre wahren Absichten, haben in Ihre innerste Seele geblickt …«
    Sarah hielt den Atem an. Zusammenhanglose Bilder tauchten plötzlich vor ihrem inneren Auge auf: eine dunkle, niedrige Kammer; eine Gaslaterne, die von einer hölzernen Decke hing; ein Becher mit brackigem Wasser und eine tiefe Stimme, die unablässig auf sie einsprach …
    »Was haben Sie mit mir gemacht?«, wollte sie schaudernd wissen.
    »Wir haben Ihnen nur einige Fragen gestellt.«
    »Wozu?«
    »Um herauszubekommen, was Sie wissen. Offen gestanden waren wir enttäuscht, festzustellen, wie wenig

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