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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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der im schwächer werdenden Licht der Gaslaterne bedeutungsvoll schimmerte. Du Gard nahm eines der Gläser und roch daran. Das andere reichte er an Sarah weiter.
    »Hier, ma chère«, sagte er lächelnd. »Auf den Augenblick.«
    »Auf den Augenblick«, erwiderte Sarah und nahm das Glas entgegen. Über die gefüllten Gläser hinweg blickten sie einander an, und es schien, als versuchte jeder, die Gedanken des anderen zu lesen. Dann tranken sie, nicht in kleinen Schlucken, wie es bei Tisch und in Gesellschaft üblich war, sondern in einem Zug. Du Gard machte es vor, und Sarah, die nicht nachstehen wollte, tat es ihm gleich. Erfüllt von plötzlicher unersättlicher Lebenslust leerte auch sie ihr Glas bis auf den Grund – und spürte schon im nächsten Augenblick die Wirkung des Alkohols.
    »Ein guter Tropfen, n’est-ce pas?«, erkundigte sich du Gard.
    »In der Tat.« Sarah merkte, wie ihre Knie weich wurden, und sie ließ sich auf das von einem Seidenhimmel überspannte Bett sinken, das sie weich und warm willkommen hieß. Du Gard lachte leise und schenkte ihnen beiden nach, dann setzte er sich neben sie.
    »Wie fühlst du dich?«, wollte er wissen.
    »Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht«, gab sie zu und rieb sich eine Schläfe. »Das muss am Wein liegen.«
    »Non.« Du Gard schüttelte den Kopf. »Das ist nicht der Wein. Du bist verwirrt und durcheinander, und nach allem, was geschehen ist, ist das auch nicht verwunderlich.«
    Sarah gönnte sich ein tiefes Seufzen. »Du gibst nicht auf, oder?«
    »Non.« Er grinste.
    »Bin ich denn wirklich so leicht zu durchschauen?«, fragte Sarah, die merkte, wie ihr innerer Widerstand, sich du Gard zu offenbaren, mit jedem Augenblick schwächer wurde. Sie schwieg und lauschte dem prasselnden Regen, der nach wie vor gegen das Fenster trommelte, und nahm einen weiteren tiefen Schluck Wein. »Als Vater mich nach London schickte, hat mich das sehr verletzt«, gab sie dann zu. »Es war nicht leicht, Yorkshire zu verlassen und in die große Stadt zu gehen. Anfangs schrieb mein Vater mir regelmäßig, dann immer seltener. Nachdem ich über Monate nichts von ihm gehört hatte und keiner meiner Briefe beantwortet worden war, erhielt ich schließlich eine kurze Notiz, der zufolge er zu einer Forschungsreise mit unbekanntem Ziel aufbräche. Das Nächste, was ich von ihm hörte, war die Depesche aus London.«
    »In der du aufgefordert wurdest, ihn auf dem Symposion in Paris zu vertreten«, erinnerte sich du Gard.
    »Genau.« Sarah nickte. »Als mich die Depesche erreichte, war ich unglaublich stolz. Ich sah es als Beweis dafür an, dass mein Vater seinen Entschluss bereute, und war fest entschlossen, aller Welt zu zeigen, was für eine brillante Archäologin ich wäre.« Sie nahm einen weiteren Schluck, um sich Mut zu machen für das, was sie noch nie zuvor offen ausgesprochen hatte. »Mein Vortrag geriet zum Fiasko. Ich habe versagt und alles falsch gemacht, musste meinen eigenen Ruf ruinieren, um den meines Vaters zu retten. Ich habe ihm blind vertraut – und nun erfahre ich, dass er mir sein Vertrauen offenbar längst entzogen hat.«
    »Oui, und das tut weh«, sagte du Gard leise und mit vom Alkohol rauer Stimme.
    »Ich liebe meinen Vater, und ich werde alles daransetzen, ihn zu retten«, fuhr Sarah fort, »aber er hat Dinge getan, die ich nicht verstehe und für die ich eine Erklärung will.«
    »Das ist verständlich«, versicherte du Gard, »aber lass dir gesagt sein, dass du das nicht nötig hast, Sarah. Du musst niemandem auf dieser Welt etwas beweisen, weder dir selbst noch deinem Vater.«
    »Du bist ein Schmeichler, Maurice.«
    »Non, ma chère – ich bin Wahrsager.«
    Sie schaute ihn an, und die Augen, mit denen sie ihn betrachtete, waren andere als jene, mit denen sie ihn noch vor wenigen Tagen angesehen hatte. Damals war Maurice du Gard für sie nichts weiter gewesen als ein Schwindler und Scharlatan, und ein besonders dreister noch dazu. Inzwischen wusste sie es besser und hatte erkannt, dass sich hinter all der Nonchalance und der gespielten Arroganz ein einfühlsames, verständnisvolles Wesen verbarg, das die Gefühle und Empfindungen anderer nicht nur zu erspüren, sondern auch in Worte zu kleiden vermochte. Zwar gab es in Sarahs Hinterkopf nach wie vor auch eine warnende Stimme, die ihr sagte, dass du Gard dennoch ein Bonvivant und Lebemann war, aber sie verhallte ungehört angesichts des Weins und des charmanten Lächelns in du Gards Gesicht.
    »Danke, Maurice«,

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