Die Flamme von Pharos
sich von Ihnen abgewandt hat. Sie fragen sich, was Ihren Vater zu alldem getrieben haben mag, und Sie haben verdammt recht damit. Warum hat dieser egoistische alte Bastard Sie nicht in seine Pläne eingeweiht? Warum hat er Sie in England zurückgelassen?«
»Sie vergreifen sich im Ton, Monsieur du Gard«, schnaubte Sarah. »Es steht ihnen nicht zu, meinen Vater zu beschimpfen.«
»Warum nicht, mince alors ? Sie haben noch sehr viel Schlimmeres als das getan, Sarah – Sie haben Ihren Vater verraten!«
»Das ist nicht wahr!«
»Tatsächlich nicht? Wollen Sie mir weismachen, er wäre begeistert, wenn er wüsste, dass Sie seinen schärfsten Konkurrenten auf seine Fährte gelockt haben?«
»Friedrich Hingis ist ein notwendiges Übel«, stellte Sarah klar. »Nicht mehr und nicht weniger.«
»Wirklich? Dann ist es ja sicher nur Zufall, dass sich dadurch auch eine Chance ergibt, es Ihrem Vater heimzuzahlen.«
»Was?« Sarah lachte freudlos auf. »Sie sind betrunken, du Gard. Sie wissen nicht, was Sie sagen.«
»Vielleicht habe ich tatsächlich etwas zu tief ins Glas geschaut«, gab der Wahrsager zu, »aber schon morgen werde ich wieder einen klaren Kopf haben – Sie hingegen werden sich weiterhin belügen, statt sich die Wahrheit einzugestehen.«
»Welche Wahrheit?«
»Mince alors – dass Sie Archäologin sind. Dass es in Ihrer Natur liegt, alten Geheimnissen nachzuspüren, und dass Sie dafür weder Ihren Vater noch sonst einen Vorwand brauchen. Sie lieben den alten Narren von ganzem Herzen, aber bei dieser Reise geht es nicht nur darum, ihn zu retten. Sie wollen sich beweisen, wollen das tun, wonach jede Faser Ihres Körpers sich sehnt – und Sie wollen es so sehr, dass Sie dafür bereit sind, mit den Gegnern ihres Vaters zu paktieren.«
»Sie sind betrunken«, sagte Sarah noch einmal, die sich trotz der Decke um ihre Schultern nackt und durchschaut vorkam.
»Das bin ich«, bestätigte du Gard, »aber wie heißt es so schön? Im Wein liegt Wahrheit.«
»Es kommt darauf an, wie viel man davon trinkt«, konterte Sarah, die fühlte, wie ohnmächtige Wut in ihre Adern schoss. Wut auf du Gard und seine klugen Reden, aber auch auf ihren Vater, der ihr all dies eingebrockt hatte …
»Vielleicht sollten Sie auch einen Schluck davon nehmen, damit Sie endlich Ihre Hemmungen verlieren«, forderte du Gard sie auf. »Warum blicken Sie der Wahrheit nicht ins Auge und gestehen sich ein, dass Sie ein Mensch wie jeder andere sind, mit Kanten und mit Fehlern?«
»Weil ich es mir nicht leisten kann«, gab Sarah zurück.
»C’est vraiment absurde!« Du Gard schüttelte den Kopf. »Ich glaube eher, Sie fürchten sich viel zu sehr davor, Ihre wahren Empfindungen zu zei …«
Weiter kam er nicht – denn mit einer Entschlossenheit, die allen Zorn, alle Furcht, alle Frustration und Sorge, aber auch alle Zuneigung enthielt, zu der sie in diesem Augenblick fähig war, hatte Sarah ihn am rüschenbesetzten Kragen seines Hemdes gepackt und über die Schwelle ihres Zimmers gezogen. Und noch ehe die Tür geräuschvoll hinter ihm ins Schloss fiel, hatte Sarah bereits ihre Lippen auf die seinen gepresst, so als wäre es die einzige Möglichkeit, den lästernden Mund des Franzosen zum Verstummen zu bringen.
Sie fühlte den herben Geschmack seiner Lippen auf ihren, roch seinen von Alkohol schwangeren Atem und fühlte, wie ihre Begierde erwachte. Dass die Decke um ihre Schultern herunterfiel und sie auf eine Weise zeigte, die für eine Lady äußerst unschicklich war, scherte sie nicht. Verlangend drängte sie ihren Körper an den seinen, auf der verzweifelten Suche nach einer nie gekannten Freiheit.
Einen Augenblick schien es, als wollte du Gard sie ihr gewähren; er erwiderte ihren Kuss mit einer Innigkeit, die sie betörte, und ein Schauer durchrieselte sie, als ihre Zungen einander berührten. Im nächsten Moment jedoch riss du Gard sich von ihr los und wich einen Schritt zurück.
»Un moment«, bat er sich aus. »Nicht so schnell.«
»Was hast du?«, fragte sie. Ein Träger ihres Nachthemdes war herabgeglitten und hatte ihre Schulter und den Ansatz ihrer Brust entblößt, die sich heftig hob und senkte. »Sagtest du nicht, du wolltest den Augenblick genießen?«
»D’accord, aber nicht so«, widersprach du Gard und hob die Weinflasche und die Gläser, die er noch immer in den Händen hielt. »Habt ihr Briten denn keinen Sinn für Romantik?«
Er stellte die Gläser auf den Sekretär und füllte sie mit dunkelrotem Rebensaft,
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