Die Flamme von Pharos
flüsterte sie und kämpfte die Rührung nieder, die in ihr aufsteigen wollte. Sie hatte sich du Gard ohnehin schon weit mehr anvertraut, als sie je beabsichtigt hatte.
»Au contraire.« Er hob abwehrend die Hand. »Ich habe für deine Offenheit zu danken, zumal ich dir ebenfalls etwas gestehen muss.«
»Und das wäre?«
»Alors«, knurrte du Gard, wie um Zeit zu gewinnen, »ich habe dir gesagt, dass ich dich um des Versprechens willen begleite, das ich deinem Vater gegeben habe …«
»… aber das war gelogen«, vervollständigte Sarah. »Ich weiß.«
»Du weißt es? Woher?«
»Ich kann vielleicht keine Gedanken lesen, aber ich habe dir dennoch angesehen, dass du nicht die Wahrheit gesagt hast. Du bist kein besonders guter Lügner, Maurice.«
»Offensichtlich.« Er nickte zerknirscht.
»Worum also geht es dir wirklich? Um Geld?«
»Non. Erinnerst du dich, wie ich dir von der Vision erzählte? Dem Wachtraum, in dem ich deinen Vater sah?«
»Was ist damit?«
»So etwas ist mir noch nie zuvor passiert«, gestand du Gard ein. »Es war das erste Mal, dass ich eine solche Vision hatte. Weder hatte ich die Karten befragt noch den Drachen gejagt, dennoch kam diese Vision einfach zu mir, verstehst du? Es war, als hätte sie nach mir gesucht.«
»Warum?«
»Das weiß ich nicht, aber ich möchte es herausfinden. Deshalb bin ich hier.«
»Du glaubst, auf dieser Reise Antworten zu finden?«
»Pourquoi pas? Immerhin handelte die Vision von deinem Vater, und nach allem, was wir herausgefunden haben, geht es dabei um viel mehr, als es zunächst den Anschein hatte. Etwas ist da draußen, Sarah. Etwas Großes, Bedeutsames …«
»Was genau«, wollte Sarah wissen.
»Das kann ich nicht sagen. Es ist wie ein Schemen, den man nicht zu greifen vermag, aber dennoch ist er da. Veränderungen stehen bevor, Sarah.«
»Welcher Art?«
»Auch das weiß ich nicht – und ich muss zugeben, dass mir das ein wenig Angst macht«, gestand du Gard und sandte ihr einen vieldeutigen Blick zu. Eine Pause trat ein, und durch das Rauschen des strömenden Regens, der sich über Orléans entlud, war Donnergrollen zu hören. Die Gaslampe auf dem Schreibtisch war fast leergebrannt, sodass nur noch der gelbe Schein der Straßenbeleuchtung, der durch das hohe Fenster fiel, das Zimmer spärlich erhellte.
»Bist du deshalb auf mein Zimmer gekommen«, fragte Sarah endlich, »um mir das zu sagen?«
»Non«, gab er zu und stellte sein Weinglas ab.
»Du dürftest nicht hier sein, und das weißt du.« Sarah leerte ihr Glas und stellte es ebenfalls beiseite.
»Pourquoi pas?«
»Weil es sich nicht schickt, deshalb.«
»Ma chère. Wenn du dich um das scheren würdest, was sich schickt, hätte ich die Schwelle nie übertreten …«
Unaufhaltsam neigten ihre Gesichter sich einander zu, und während sie einander tief in die Augen blickten, hatte Sarah das Gefühl, in einen tiefen Schacht zu stürzen und dabei zu wissen, dass ihr nichts geschehen würde.
Gleichmut befiel sie, alle Furcht und alle Sorge rückten in weite Ferne. Mit halb geöffneten Lippen beugte sie sich zu du Gard, der ihr auf halbem Wege entgegenkam, und erneut begegneten sich ihre Münder in einem Kuss, der beider Leidenschaft entfachte.
Und diesmal zog du Gard sich nicht zurück.
Ein lauter Knall riss Sarah aus dem Schlaf – als sie jedoch die Augen aufschlug, wusste sie nicht mehr zu sagen, ob das Geräusch real oder nur Teil eines Traumes gewesen war.
Sie blieb liegen und blickte sich blinzelnd um, erkannte die vertrauten Formen des Hotelzimmers. Beleuchtet wurden sie von blauem Licht, das flackernd durch das Fenster fiel. Das Gewitter tobte also noch immer, Blitze zuckten über den Nachthimmel, auch wenn der Regen nachgelassen zu haben schien.
Sarah fröstelte in ihrem Nachthemd. Sie drehte sich im Bett herum und fand du Gard schlafend neben sich. Seine nackte Brust hob und senkte sich unter gleichmäßigen Atemzügen.
Zu ihrer Überraschung empfand Sarah keine Reue. Sich einem französischen Liebhaber hinzugeben entsprach sicher nicht dem Kodex, den man ihr in London beizubringen versucht hatte. Aber zum einen war England weit entfernt, zum anderen war die Nacht mit du Gard eine der beglückendsten Erfahrungen ihres noch jungen Lebens gewesen.
Seit sie nach London gegangen war, hatte Sarah sich eingeengt und bedrückt gefühlt, hatte das Gefühl gehabt, an den Zwängen zu ersticken, die die Gesellschaft ihr auferlegte – in diesem Augenblick jedoch, umgeben von
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