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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyne Okonnek
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ferner als zarte Gefühle. Die ungewöhnliche Schönheit dieses Ortes stand im Gegensatz zu der Wirklichkeit, die ihm widerfuhr, aber sie erschien kalt und leer. Ob sich die Dämonen für vollkommen hielten?
    »Wie viele Unschuldige habt ihr missbraucht, wie viele Verbrechen begangen, um eure Königin zurückzubekommen?«, brach es aus ihm heraus, doch sogleich biss er sich auf die Zunge und sprach kein Wort mehr.
    Lasair schaute ihn erst überrascht, dann mit mühsam im Zaum gehaltenem Ärger an. Es war ungewohnt für sie, solche Dinge von anderen vorgeworfen zu bekommen. »Es geht nicht bloß darum, dass wir ein Volk ohne Königin sind, Grian ist wesentlich mehr als dies!«, sagte sie aufgebracht. Dann wurde sie leiser, ihre Augen richteten sich auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne, als spräche sie von uralten Zeiten. Doch ihr Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass sie nicht Legenden wiedergab, sondern die Wahrheit berichtete. Sie erzählte von Maidin, deren Name »Morgen« bedeutete und die zuerst da gewesen war, erschaffen aus Licht. Nach und nach kamen andere in diese Welt, sie entstanden aus Wolken, Felsen, Wasser, Frost oder Nebel. Sie entdeckten, dass sie in menschenähnlicher Gestalt Kinder gebären konnten, und ihre Zahl wuchs. Maidin wachte über sie und brachte ihnen alles bei. Sie selbst bekam zwei Töchter, zuerst Grian, deren Name »Sonne« bedeutet, und dann sie selbst, Lasair, die Flamme. Nach Tausenden von Jahren wurde Maidin müde und übertrug die Aufgabe, ihr Volk zu führen, an die älteste Tochter, Grian, die seitdem Königin ist und doch viel mehr … Hier brach Lasair plötzlich ab, als wäre sie überwältigt und müsse sich erst fassen.
    Dann nahm sie den Faden wieder auf, klang in Dorcs Ohren aber gehetzt, als ob sie den eigenen Worten entfliehen wollte. »Unsere Mutter jedoch begann sich zurückzuziehen. Sie schrieb rätselhafte Verse auf, in denen die Zukunft verborgen ist, und eines Tages verstummte sie ganz. Niemandem von uns ist es seither gelungen, zu Maidin durchzudringen, nicht einmal in der größten Not.« Erneut brach sie ab. Ohne es zu merken, zupfte sie unablässig an den Falten ihres Kleides. Sie versuchte die Sätze innerlich von sich wegzuschieben, aber es fiel ihr schwer. Immerhin war diese Frau nicht nur im übertragenen Sinne ihre Mutter!
    Mit brüchiger Stimme setzte sie schließlich die Erzählung über die Geschichte der Aos Sí, wie sie sich selbst nannten, fort. »Lebten wir früher sorglos, so lernten wir furchtbare Dinge kennen wie Lüge, Verleumdung, Verrat und sogar den Tod, nachdem die Menschen unsere Insel entdeckt und besiedelt hatten. Obwohl wir sie freundlich aufgenommen und nützliche Dinge gelehrt hatten, wandten sie sich nach und nach gegen uns.« Sie legte die Hand auf seinen Arm, um den folgenden Worten mehr Nachdruck zu verleihen, und Dorc ließ es zu, obwohl ihm die Berührung unangenehm war. Es war ihm unbegreiflich, dass er sie nicht abschüttelte, aber darüber nachdenken würde er später. Vielmehr interessierte ihn, was sie ihm eigentlich mitteilen wollte.
    »Kannst du dir vorstellen, Dorc, wie sehr uns die Erkenntnis erschüttert hat, dass wir unsterbliche Wesen durch euer Eisen vernichtet werden können? Wir möchten auch verstehen, warum die Aosú, die Menschen, damals plötzlich begannen uns zu fürchten und gar zu hassen. Selbst zwischen uns Aos Sí entstand auf einmal Zwietracht, als Grian Aithreo zu ihrem Gefährten erwählte. Jeder war überzeugt gewesen, dass sie sich für Néal entscheiden würde, der sie von Kind an über alles liebte. Manche zweifelten ihre Wahl an und Néal forderte Aithreo zu einem Zweikampf heraus.«
    Sie sah aus, als könnte sie es immer noch nicht glauben. »So etwas hatte es zuvor in unserem Volk nie gegeben! Keiner hat jemals auch nur die Hand gegen einen anderen erhoben. Besonders bitter daran ist, dass die beiden Männer enge Freunde gewesen waren. Natürlich wurde Grian zornig, doch sie verhinderte es nicht.« Lasair unterbrach ihre lange Erzählung und schaute bedrückt zu Boden, während Dorc jetzt gerne gehört hätte, wie es weiterging. Er hatte den Eindruck, dem Schlüssel zu vielen Rätseln auf einmal ganz nahe zu sein.
    »Das macht ihn noch unsympathischer!«, sagte er, um die Stille zu brechen.
    »Wen?«, fragte Lasair verwirrt.
    »Diesen Aithreo. Er hat seinen Freund verraten!«
    Sie bemerkte sehr wohl, dass er ihn nicht als seinen Vater bezeichnete, aber das verstand sie, und ging darüber

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