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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyne Okonnek
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tönte es wie ein Knurren: »Hast du es von Anfang an geplant? Keimte der Same des Verrats im schönen Schein, den du präsentiert hast? Oder wann hast du die Entscheidung getroffen? Als du bereits wusstest, wie tief ich verstrickt war in deinem Netz?« Seine Züge wurden weicher und nun stellte er ihr die wichtigste Frage: »Sag mir, hast du einen winzigen Augenblick lang Mitgefühl empfunden?« Gespannt beobachtete er die reglose Gestalt, offenbar auf irgendein Zeichen des Bedauerns von ihr wartend. Nichts geschah und seine Miene verhärtete sich wieder. Dass sie im eisernen Gefängnis zur Bewegungslosigkeit verdammt war, drang in diesem Moment nicht in sein Bewusstsein, so sehr hoffte er auf ein Eingeständnis ihrer Schuld. In irgendeinem finsteren Winkel seines Herzens glaubte er, dies würde ihm die ersehnte Erlösung bringen. Dass sie ihm das auch jetzt nicht gewährte, ließ seinen Hass erneut aufflammen. Doch der war ihm lieber als die Verzweiflung, die tief in ihm lauerte, denn dieser glühende Hass schenkte seinem Verstand die nötige Kälte. Jetzt sah er sie wieder als das, was sie war, durch ihn geworden war: eine nutzlose Puppe, deren letztes bisschen Leben fast schon Einbildung schien.
    »Es wird dich erstaunen, aber die Welt kommt ganz gut ohne Himmelsfeuer zurecht. Natürlich, es ist kalt und vieles hat nicht überlebt. Aber das war schließlich dein Wille. Oder was hast du vom Frost erwartet? Etwa den Frühling? Von diesem kalten Gesellen?«
    Der Erwählte wurde erneut von einem irren Lachen geschüttelt.
    »Wie du mich erheiterst! Ich hoffe, meine Gesellschaft erfreut dich ebenso! Sag jetzt nicht, du ziehst die Dunkelheit vor.« Er tat, als ob er auf eine Antwort lauschte, um dann mit höhnischer Stimme zu sagen: »Ach, ich vergaß, du kannst nicht sprechen. Wie schwierig für eine Dämonin, deren Worte Gesetz waren …« Ganz nah ging er mit dem Kopf an ihr Gesicht, atmete tief ein, als wollte er den Duft ihrer Haut aufsaugen, flüsterte: »… und an deren Lippen ein jeder hing, sogar …« Abrupt verstummte er und presste seine Lippen auf die ihren, um gleich darauf zurückzufahren, als hätte er sich verbrannt. Er hob die Hand und bedeckte den Mund. Im nächsten Augenblick holte er aus. Die Wucht seines Schlages ließ ihren Kopf gegen die Wand des Sarkophags krachen.
    »Ich hätte dich schon lange töten sollen!«, schrie er und seine Stimme schnappte über. »Ich sollte dich jetzt töten! Ja, jetzt! Ich sollte es wirklich tun! Ich muss!« Mit diesen Worten wich er Schritt für Schritt zurück, bis er gegen die Wand stieß. Der feuchtkalte Stein im Rücken brachte ihn zur Besinnung. Verwundert schaute er sich um, als wäre er aus tiefem Schlaf erwacht. Sein Blick fiel auf den offenen Sarg, doch er näherte sich ihm nicht. Lange verharrte er, ohne sich zu rühren, dann endlich löste er sich aus seiner Erstarrung.
    Beinahe gleichmütig sagte er: »Es ist nicht zu ändern. Du wirst hier gefangen sein, bis die Welt untergeht.« Er löste das Seil und ließ den schweren Deckel auf den Sarg hinabkrachen. Ein dumpfer Ton dröhnte durch das Verlies. »Es gibt keine Rettung«, murmelte er und verließ den Raum.
    Er kam nur bis zur Quelle. Erschrocken blieb er stehen und starrte auf das Wasser, das sich blutrot gefärbt hatte. Auf der spiegelnden Oberfläche war das ebenmäßige Gesicht eines jungen Mannes zu sehen, dessen grau wirbelnde Augen traurig zu ihm aufsahen.
    »Néal«, flüsterte der Erwählte erschüttert und streckte die zitternde Hand aus. Dann brach er zusammen.

V

    Ein Schiff am Horizont
    Zwei Völker ohne Augen als Pfand
und Hass erhellt den Weg.
Türen öffnen sich ins Nichts
und Tränen nähren die Flammen.
    Die 4. Prophezeiung Maidins
    Heute Nacht habe ich geträumt, die Sonne selbst sei blind. Als ich in meinem Bett lag und über dieses Bild nachdachte, fiel mir die zweite Prophezeiung wieder ein:
    Sonnenstrahlen kennen die Finsternis nicht
und Hochmut keine Grenzen.
Heimtücke hält sich selber gefangen,
Stufen führen zur Erniedrigung.
    Plötzlich durchfuhr mich der ziemlich verrückt klingende Gedanke, dass vielleicht Grian, die Sonne, mit ihrer Entscheidung alles ausgelöst haben mochte. Nicht jeder hieß es damals gut, mancher verurteilte, wie sie über Néals Gefühle einfach hinwegging, als ob sie nichts wert seien. Hat Maidin dies gemeint, als sie von Hochmut sprach? Wenn Grian Gefühle missachtete, dann hat sie vielleicht auch den Hass unterschätzt, der ihr von Jalluths

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