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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyne Okonnek
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das ergab keinen Sinn! Sie nahm die Jacke auf und hob sie an ihr Gesicht, als wolle sie den Geruch ihres Sohnes einatmen, aber sie war ihm nie nahe genug gekommen, um ihn zu kennen, und das Kleidungsstück roch nur nach Schimmel. Hastig durchwühlte sie die übrigen Sachen, ohne zu wissen, wonach sie suchte. Sie fand nichts außer Kleidung und ganz unten einen schmutzigen Papierklumpen, an dem Farbreste zu erkennen waren. Erstaunt drehte sie das Gebilde hin und her. Was hatte Dallachar bewogen, es in seiner Truhe zu verstecken, als wäre es ein Schatz? Es musste ihm etwas bedeutet haben, aber sie konnte sich beim besten Willen keinen Reim darauf machen. Kopfschüttelnd warf sie es zurück und klappte den Deckel wieder zu. Sie stand schwerfällig auf und ging zum Fenster. Ohne etwas zu sehen, starrte sie in die Dunkelheit. Auch in ihr gab es nur bleierne Finsternis. Regungslos stand sie an die Brüstung geklammert, bis der Morgen graute. Wind und Regen peitschten in ihr Gesicht, aber Aurnia spürte sie nicht. Diese Vogelschreie, sie gellten in ihren Ohren.
    »Seid still«, schrie jemand. Es war sie selbst, aber sie merkte es nicht.
    Der Klang von Signalhörnern riss sie aus der Versunkenheit. Verwirrt betrachtete sie die Landschaft, die sich vor ihr ausbreitete. Sie sah, dass die dunklen Wolkenfetzen weit draußen über Feldern und Sumpf Vogelschwärme waren. Sie stiegen immer höher, flogen über die Mauern und ergossen sich in die Stadt. Die Vögel wuchsen, wurden große dunkle Schatten, die Blitze schleuderten. Pfeilregen zischten durch die Luft und sie hörte Schreie, grässliche Schreie. Jäh wurde ihr bewusst, was dort unten in der Stadt geschah: Sie wurden angegriffen! Der Feind war bereits mitten unter ihnen, doch wer oder was war das? Verzweifelt versuchte sie zu verstehen, was ihre Augen sahen. Für all diese unwirklich erscheinenden Dinge konnte es nur eine Erklärung geben: Dämonen! Merkwürdigerweise versetzte sie das nicht in Angst und Schrecken. Nein, der Glaube, dass es Schlimmeres gab als die Jalluthiner und ihr Oberhaupt, war endgültig vorbei. Mochten sie brennen und von Pfeilen durchbohrt werden! Eine beinahe freudige Erregung hatte sie ergriffen, doch dann fiel ihr Brone ein. Mit einem Mal schnürte ihr doch noch Furcht die Kehle zu. Fieberhaft überlegte sie, was sie tun könnte. Sie musste zu ihm! Aber in einem anderen Aufzug, die Fremden durften sie nicht als Königin erkennen. Sie warf einen letzten Blick aus dem Fenster. Der Kampf tobte in den Gassen direkt hinter der Mauer und den Stadttoren.
    So schnell sie konnte, rannte sie die Treppe hinunter und durch die Gänge zu Dervlas Kammer. Es war ihr gleich, wenn sie das Mädchen aus dem Schlaf schreckte, sie brauchte ein altes Kleid von ihr. Zu ihrem Erstaunen war die Zofe nicht dort und ihr Bett schon gemacht. Wie gut, es schien ihr besser zu gehen! Das Kleid war schnell gefunden, beim Ausziehen riss sie einen Knopf von ihrem eigenen ab, aber das war ihr gleichgültig. Im Hinausgehen ergriff sie noch den Umhang, der hinter der Tür hing.
    Draußen im Hof sah sie schon von Weitem, dass die Wache das Tor geschlossen hatte. Wie sollte sie jetzt hinausgelangen, ohne Aufsehen zu erregen? Ratlos lehnte sie sich an die Wand der Stallungen. Eine Weile überlegte sie, dann wusste sie, es gab nur eine Möglichkeit. Schnell schlug sie die Kapuze über den Kopf und zog sie tief ins Gesicht. Dann rannte sie los. Allzu viel Mühe kostete es sie nicht, die Soldaten davon zu überzeugen, dass sie eine dringende Botschaft für den Erwählten hatte. Die Männer hatten viel zu viel Angst vor ihm und wären nie und nimmer das Risiko eingegangen, ihn durch eine ihm vorenthaltene Nachricht zu verärgern. Außerdem war es ihnen gleichgültig, wenn irgendeine Magd ihr Leben verlor, sie sorgten sich mehr um ihr eigenes. Sobald sie einen der schweren Türflügel ein Stück aufgezogen hatten, zwängte sich Aurnia durch den Spalt und eilte davon.

    Dervla rieb sich schlaftrunken die Augen und kämpfte gegen die allmorgendliche Übelkeit. Ungewöhnlicher Lärm hatte sie geweckt. Sie schlüpfte aus dem Bett und wickelte sich in ein Tuch. Hinter dem Vorhang verborgen schaute sie aus dem Fenster und versuchte etwas zu sehen und zu verstehen, was sie hörte. War das der Lärm von Waffen und … Schreie? Erst wollte sie es nicht glauben, aber als die Wache das Tor verriegelte, wusste sie, dass die Stadt wirklich angegriffen wurde. Unwillkürlich legte sie die Hände

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