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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyne Okonnek
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wen sie weinte. Nein, der Erwählte war erbarmungslos, er würde in seinem Wahn auch ein Kind nicht verschonen! Vor allem, wenn es tatsächlich ein Dämon war.
    Dies ist ebenfalls meine Schuld!, dachte sie. Hätte sie nicht wegen Dallachars Augen geschrien, wäre der Erwählte vielleicht nie darauf aufmerksam geworden. Inzwischen hielt sie Dämonen für das kleinere Übel. Sie konnten ganz sicher kaum grausamer sein!
    Unter ihre düsteren Gedanken mischte sich immer stärker ein Gefühl von Unruhe. Irgendetwas stimmte nicht. Unwillkürlich hielt sie den Atem an und lauschte angestrengt. Außer Vogelrufen war kein Laut zu hören. Trotzdem stand sie auf und zog sich an. Dies nahm mehr Zeit in Anspruch als sonst, da sie noch geschwächt war und sich immer wieder setzen musste. Wenigstens konnte sie es inzwischen alleine. Dervla litt an einer rätselhaften Krankheit mit Übelkeit und Erschöpfungszuständen. Vor allem morgens hatte sie tiefe Schatten unter den Augen und sah leichenblass aus. Aurnia ließ sie lieber ausschlafen, denn sie wollte das Mädchen nicht verlieren, es war nach wie vor ihre einzige Vertraute. Keine der anderen Zofen ertrug sie um sich herum, deshalb lernte sie sich selbst anzukleiden. Dervla richtete ihr die Haare dann am Nachmittag. Das war früh genug, Mórtas sah sie erst abends bei ihrem gemeinsamen Mahl.
    Eine Öllampe in der Hand öffnete sie leise die Tür. Im Gang war alles ruhig und niemand zu sehen. Wie gut, dass sie den Einfall gehabt hatte, den Schmuckdiebstahl zu nutzen, um endlich die verhassten Flammenkrieger vor dem Zimmer loszuwerden. Sie wusste, die Bewachung diente einzig dem Zweck, sie einzuschüchtern und im Zaum zu halten, und nicht dazu, sie vor Gefahren zu schützen. Nachdem eines Tages jemand vor ihrer Nase in das Gemach der Königin eingedrungen war, ohne dass die Soldaten es verhinderten oder auch nur bemerkten, konnte Aurnia mühelos den gesamten Hof von der Nutzlosigkeit dieser Wache überzeugen. Zähneknirschend hatte der Erwählte seine Männer abgezogen – ein weiterer kleiner Sieg, über den sich Aurnia im Stillen unbändig freute. Dafür hätte sie sogar den Ring hergegeben, denn er gefiel ihr sowieso nicht und war ungewöhnlich schwer. Nun lag er wieder unbeachtet in der Schatulle, so wie immer, seitdem der alte König ihr das Familienerbstück nach der Hochzeit mit wichtiger Miene und viel Aufhebens geschenkt hatte. Aber sein Gutes hatte er doch gehabt.
    Das ganze Gebäude war wie ausgestorben. Noch zwei Stunden und das Küchengesinde würde schlaftrunken seiner Arbeit nachgehen. Draußen im Hof war nur die Wache zu sehen, der Hinterhof war bis auf ein paar Tauben leer. Unschlüssig schaute sie aus dem Fenster und ging dann weiter. Sie fragte sich, was sie eigentlich suchte. An einem Quergang blieb sie stehen. Führte von diesem aus nicht eine Wendeltreppe nach oben in den Ostturm? Als Dallachar noch lebte, war sie kein einziges Mal dort oben in seinem Raum gewesen. Was war mit seinen Sachen geschehen? Und mit denen der verschwundenen Kinderfrau? An deren Namen konnte sie sich nicht mehr erinnern. Wie in einem Traum gefangen stieg sie die steilen Stufen hinauf. Sie fand eine kleine Kammer mit einem leeren Bettrahmen und einen Raum voller Möbel. Durch die zerborstenen Scheiben drang ungehindert Regen ein, es war offensichtlich, dass hier oben nie wieder jemand nach dem Rechten gesehen hatte. Das Holz war verwittert und aufgequollen von der Nässe, das Bettzeug roch faulig, Vorhangfetzen schaukelten im Wind.
    Neben der Tür entdeckte sie eine Truhe, die beinahe unbeschädigt aussah, vielleicht weil sie sich weit genug entfernt von den Fenstern befand. Verschlossen war sie nicht. Aurnia setzte die Lampe ab und schlug den schweren Deckel zurück. Es war eine Kleidertruhe, obenauf lag eine goldbestickte Uniformjacke aus dunkelblauem Tuch, die Dallachar zu offiziellen Anlässen getragen hatte. Sie erinnerte sich, wie er sie dabei die ganze Zeit mit diesem hungrigen bettelnden Blick anstarrte, den sie so sehr gehasst hatte. Wäre alles anders gekommen, hätte sie ihn lieben können? Sie horchte in sich hinein, als würde sie dort die Antwort finden, aber da war nur diese graue Leere. Immerhin überfiel sie auch kaum noch die demütigende Erinnerung an die Nacht seiner Empfängnis. Vielleicht weil er sie nicht mehr durch seinen Anblick darauf stieß. Oder weil des alten Königs Dämonenblut eine Erklärung für sein damaliges unmenschlich kaltes Verhalten war. Nein,

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