Die Flammen von Lindisfarne
Gemahlin zu verderben. Denn Frigga war nicht nur die Hüterin der Ehe, sondern auch die Mehrerin des häuslichen Glücks. Der Zorn der Göttin mochte dem Frevler ein nörgelndes, unleidliches Eheweib schaffen. Ragnhild Drachenzahn wurde von ihm oft hinter vorgehaltener Hand als Friggas Rache bezeichnet.
„Thorleif! Wasch dich und rolle dich draußen im Schnee, bis die Glut des Aels aus deinem Blut geschwunden ist!“ knurrte Haakon unmutig. „Dann heirate das Mädchen, damit du die Sache hinter dir hast! Ich und die Männer, wir haben Durst!“
„Du hast mich falsch verstanden, Bärensprung!“ stieß die Wala hervor. „Die Hochzeit ist ein Freudenfest, wo jeder Streit unterbleibe, der als böses Omen für die Ehe gilt. Bedenke auch, dass die Saat des Misstrauens zwischen den Brautleuten gesät ist!“
„Sie werden es nicht wagen, der Wahl ihrer Väter zu trotzen!“ Wulfegars Faust krachte auf den Tisch, der nach dem Kampf von den Knechten wieder an seinen Platz gerückt wurde.
„Aus freiem Willen und mit Liebe im Herzen sollen Brautleute in Friggas Kreis treten, wenn die Hohe Segen spenden soll!“ Die Stimme der Wala klang erhaben. „Zwar fügen die Worte der Väter die Ehe nach Weisheit und Einsicht. Doch wenn einer der Brautleute den Treueeid weigert, so weigert Frigga den Segen und die Ehe ist ungültig. Das, Sachse, ist der Brauch hier im Norden!“
„So mögen sich die Brautleute denn noch einmal prüfen!“ grollte Wulfegar. „Wenn meine Tochter es noch einmal wagen sollte...!“ Er ließ den Rest ungesagt. Doch seine erhobene Faust in Richtung auf die erbleichende Thursula sagte mehr als jede Rede. Wie ein Sohn hatte bei Ungehorsam auch die Tochter die Kraft des Vaters zu fürchten.
„Es sei!“ nickte der Jarl. „Finde dich zu Balders Fest an Mittsommernacht in Odins heiligem Haine ein, weise Wala. Dann, wenn alle Götter durch den nächtlichen Tag auf unser frohsinniges Treiben sehen, sollen Thorleif und Thursula an heiliger Stelle um Friggas Segen bitten.“
„Deine Worte weisen Weisheit!“ nickte die Wala. „So werden die Runen der Erinnerung in unsere Gedanken geritzt und so soll es geschehen, wenn Freyers Sonne die Nacht erhellt!“
„Gut, das das nun erledigt ist!“ stöhnte Ragnar. „Können wir nun trinken...?“
„Etwas gilt es noch zu tun, weshalb ich herkam!“ rief Ruwala. „Högni erinnerte bereits an das Ritual. Vergaßt ihr den Drachenschädel des neuen Schiffes?“
Ein Raunen ging durch die Männer. Durch den Kampf hatten sie fast vergessen, dass die alte Frau durch den ersten Trunk des Schiffes die Zukunft des neuen Langbootes erfragen wollte.
„Für eine Frage nach dem Schicksal eines Kriegsschiffes ist das, was geschah, mehr als günstig!“ kicherte die Wala. „Der Schädel der MIDGARDSCHLANGE hat sich an diesem Kampf ergötzt und harrt dem Tage, wo sie auf ihrem Rücken Odins mutige Streiter durch die Wogen zum Tanz der Waffen tragen soll. Die gekürte Jungfrau tue ihre Pflicht...schon deshalb durfte sie nicht vor der Zeit in Friggas Ring treten!“ kicherte die Greisin hinterher, als sich alle Aufmerksamkeit Thursula zu-wandte.
Vergeblich versuchte das dunkelhaarige Mädchen, sich zurück zu ziehen. Diese Orakelbräuche schienen selbst ihr, der überzeugten Heidin, barbarisch und unnötig. Welche Verschwendung des Trunks, der in den Rachen des hölzernen Idols geschüttet wurde.
Ragnhild Drachenzahn, das Weib des Jarl und ihre künftige Schwiegermutter, trug ihr selbst das Horn zu, dass sie mit dem in diesen Tagen seltenen Met gefüllt hatte. Der erste Trunk eines Schiffes hatte von edelster Art zu sein - salziges Wasser bekam der Drachenschädel noch genug zu saufen, wenn er am Bug die Wellen durchpflügte.
„Wenn ich es befehle, dann schütte den Trunk mit geschlossenen Augen über die Zunge der großen Meerschlange!“ klang Ruwalas Stimme. „Ich werde nun die Götter anrufen, dass sie uns in Runen rechten Rat raunen!“
„Erhebt euch, Wikinger, in Ehrfurcht vor den Hohen!“ befahl der Jarl und trat neben seinen Sitz, hinter dem sich der Drachenschädel aufbäumte. Ausnahmslos erhoben sich die Anwesenden von den Plätzen. Männer, bei denen das Ael schon die erste Wirkung zeigte, wurden von ihren Banknachbarn gestützt. Mit weit aufgerissenen Augen und abergläubischer Scheu sahen sie zu, wie die uralte Wala ihre fast fleischlosen Arme in die Höhe streckte und das schneefarbene
Weitere Kostenlose Bücher