Die Flammen von Lindisfarne
würde die rohe Kraft über die Gewandtheit siegen. Lars war krebsrot im Gesicht vor Schmerz und Anstrengung. Sein Atem ging rasselnd und der Schweiß rann ihm wie die Wasser der Gletscher im Frühling über die Stirn.
„Gib dich geschlagen, Lars Wolfssohn!“ dröhnte Haakons Stimme durch die Halle. „Eher entwindest du dich den Schlangenarmen des grausigen Meer-Kraken als den Händen meines Sohnes!“
„Nein...nicht...auf...geben!“ keuchte Lars mit schwindendem Atem.
„Aber du hast verloren!“ rief Wulfegar außer sich. „Die Götter haben gesprochen und Thorleif ist Sieger!“
„Noch...sitzt er nicht...und ...trinkt nicht!“ presste Lars hervor.
„Willst du denn sterben, du Narr?“ fragte der Sachse und das Zucken seiner Hände zeigte an, wie sehr ihn diese Situation in seinem Inneren packte.
„Sterben...wenn Odin will...!“ knirschte Lars. „Ehre...!“
„Dann bring es zu Ende, mein Sohn!“ Die Stimme des Jarl klang hart. Mit versteinertem Gesicht blickte Snorre auf seinen Pflegesohn, dem die starken Arme Thorleifs die Lebensgeister aus dem Körper zu pressen schienen. Ragnhild Drachenzahn hielt Wiltrudis die Hand vor den Mund, damit sie nicht durch einen Angstschrei aus Mutterliebe Gefühle zeigte, die einer Wikingerfrau schlecht anstanden.
Man sah, dass Thorleif tief Luft holte, um mit einer letzten Kraftanstrengung den Kampf zu Ende zu bringen. In diesem Augenblick erkannte Lars, dass ihm Sigurd etwas ohne Worte mitteilte. Wie von ungefähr hatte er die Hände an den Hals gelegt, jedoch so, dass nicht die Daumen, sondern die Handkanten die Kehle berührten.
Trotzdem ihm der Schmerz fast die Sinne vernebelte begriff Lars den Sinn der Botschaft. Seine Hände lösten sich aus der Rückenmuskulatur, in der sie sich verkrallt hatten. So weit es ging breitete er die Arme aus. Und alle seine verbliebene Kraft legte er in den einen, letzten Hieb.
Ein urtümlicher Schrei Thorleifs, als er in einem letzten Ansturm zudrückte, dröhnte durch die Halle und übertönte die anfeuernden Rufe der Männer. Doch dieser Schrei wurde zum verzweifelten Stöhnen als Lars mit beiden Händen zuschlug und seine Handkanten die Halsschlagader trafen. Thorleif stieß einen gurgelnden Schrei aus und öffnete die Arme. In seine Augen trat ein ungläubiges Staunen. Lars spürte Boden unter seinen Füßen und merkte, wie der massige Körper des Gegners nach vorne wankte.
Mit aller verbliebenen Kraft stemmte er sich dagegen und schob Thorleif rückwärts - direkt auf den geschnitzten Sessel des Jarl zu. Vergeblich versuchte der benommene Kämpfer auf eigenen Füßen zu stehen.
„Es steht einem einfachen Krieger nicht zu, auf dem Hochsitz des Jarl Platz zu nehmen, doch sein ältester Sohn mag schon einmal versuchen, ob ihm der Sitz genehm ist!“ rief Lars durch die aufbrausenden Rufe der Männer. Ein letzter Schwung und Thorleif taumelte rückwärts. Das Holz knarrte und ächzte unter dem Aufprall. Aber der Sessel, der das Gewicht eines Haakon Bärensprung duldete, ertrug auch den schweren Körper seines Sohnes ohne Schaden.
Thorleif verdrehte die Augen als Lars mit raschen Schritten neben ihn trat und das Horn aus der Gestell aus Hirschgeweih hob.
„Wie Widar Eisenfaust durch sein Wort und Odin durch meinen Sieg bezeugte, bist du mit deinem Zorn im Recht, Knochenbrecher!“ sagte er so leise, dass ihn nur Thorleif, der Jarl und die zunächst Stehenden vernehmen konnten. „Thursula öffnete mir ihr Gewand und bot ihren Körper an. Deshalb bist du im Recht, hier zu sitzen und zu trinken, wie es vorher beredet wurde. Doch glaube nun dem Zeugnis Odins, dass nur meine Augen, nicht meine Hände sie berührten!“
„Odin hat gesprochen!“ kam es matt über Thorleifs Lippen. „Du hast mich besiegt. Der erste Mann, der mich im Kampf von Arm und Faust besiegt hat!“ Und er reichte ihm das Horn, das er zur Hälfte geleert hatte. Lars wusste, dass der Kampf wieder entflammen musste, wenn er den gemeinsamen Trunk ablehnte. Ein Kampf, den er in seinem jetzigen Zustand kaum gewinnen konnte. Sein ganzer Körper schmerzte, als sei eine Herde wilder Wisente über ihn hinweggezogen. Nur langsam gelang es ihm, mit sorgsam dosierten Atemzügen die zusammengedrückten Rippen wieder in die alte Lage zu bringen.
„Nicht Lars Wolfssohn, sondern Odin hat dich besiegt, Knochenbrecher!“ gab Lars mit klugen Worten zurück, um den verletzten Stolz nicht zu kränken.
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