Die Flammen von Lindisfarne
jener Schiffe näher, die stets in der Nähe des Festlandes fuhren. Durch diese Handelssegler wurde der Warenaustausch der Königreiche im Süden mit dem rauen Volk der Hochländer getätigt.
Angestrengt lugte der Mönch nach dem Symbol auf der Fahne. Zwar waren die Gottesmänner der heiligen Insel Lindisfarne überall beliebt und es gab in ihrer Umgebung kaum einen der Edlen des Landes, der ihre Schreibkunst nicht zum Aufsetzen von Verträgen oder zur Kopie von Dokumenten in Anspruch nahm, aber in diesen unsicheren Zeiten musste man vorsichtig sein.
Jeder Landstrich in Britannien hatte seinen eigenen König, der es nicht so genau nahm, woher die Beute seine Kriegsknechte kam, die sie von ihren Raubzügen in andere Hoheitsgebiete mitbrachten. Vielen Kostbarkeiten sah man es nicht an, ob sie aus einer Burg oder einem Kloster geraubt waren. Obwohl alle Edlen Britanniens an Christus glaubten, lagen sie doch ständig in blutiger Fehde miteinander.
Seufzend wünschte sich Bruder Gregor die Römer zurück, weil unter den Adlern der ewigen Stadt dieses Land einst seine höchste Blüte gehabt hatte. Als die Römer dann abzogen, kamen die Angeln, die Sachsen und die Jüten auf ihren Langschiffen und nahmen Britannien in Besitz. Eine Zeitlang wehrten sich die Briten unter der Führung von Artus, dem letzten Hochkönig der Kelten und Gälen. Ein König, von dem heute noch die Lieder klangen. Mit einer Hundertschaft gut ausgerüsteter und nach römischem Vorbild vorzüglich gedrillter Reiter gelang es diesem König immer wieder, die zu Fuß kämpfenden Sachsenkrieger zurück zu schlagen. Vor und nach jedem Kampf ließ Artus seine Reiter einen Kreis bilden, indem sie sich die Kämpfer, die Seite an Seite gestritten hatten, gegenseitig die Hand gaben. König Artus fügte sich, ein Krieger unter Kriegern, stets in den Kreis mit ein.
Nie war der Schleier von dem Geheimnis um den Verrat gerissen worden, durch den der Untergang des Legenden-Königs besiegelt wurde. Im Volke flüsterte man leise, dass Artus nur deshalb die Stämme um sich binden konnte, weil ihm Merlin, der weise Druide, die noch im heidnischen Glauben verharrende Landbevölkerung zuführte, während die Kerntruppe von Artus Reiterei sich zu Christus bekannte.
Flüsternd ging das Gerücht um, dass der Druide Merlin heimlich von einer Nonne verführt und vergiftet wurde und sich die Kelten danach in ihre walisischen Berge zurückzogen. Sie wollten nicht an der Seite von Männern kämpfen, durch deren Religion der letzte Träger uralter Weisheiten meuchlerisch dahingerafft wurde. So stand Artus mit seinen Reitern allein im Gefecht, als Horsa, der Sachse und Hengist, der Angel, zum letzten Mal die Kraft ihrer Völker zur Landnahme aufboten. Keiner der Ritter kam aus diesem Kampf zurück und auch Artus wurde nach heldenhaftem Kampf gegen die erdrückende Übermacht erschlagen.
Mit den Angeln und Sachsen aber war die germanische Zwietracht ins Land gekommen. Die Eroberer teilten das Land unter sich auf und machten die Kelten zu Leibeigenen. Jeder Sachse wollte auf seinem eigenen Hof ein König sein. Die Heerführer, die sich jetzt Könige nannten, führten ständige Fehden gegen die Männer, die einst hinter ihnen im Kampfkeil das letzte Aufgebot des König Artus niedergemacht hatten.
Seit dem Tage der Eroberung durch die Sachsen gab es keine Sicherheit mehr für die Landbevölkerung außer hinter den festen Mauern einer Stadt oder durch Unterwerfung am Hof eines der selbsternannten Gaukönige und Fürsten. Und daran änderte sich auch nichts, als die milde Lehre des Christentums sich über die ganze Insel ausbreitete und selbst die halsstarrigen Scoten im Norden und die kämpferischen Pikten ihr Haupt unter der Taufe beugten.
Immer noch brannte in ihren Adern das Blut vergangener Räubertage. Man hörte immer wieder Berichte von tief im Süden herum-streifende Horden von Pikten und Scoten, denen das Taufwasser zwar den Kopf netzte, jedoch nicht das Heidentum aus ihren Seelen wusch. Immer wieder geschah es, dass diese Marodeure neben Dörfern und Siedlungen auch Klöster überfielen und plünderten.
Lindisfarne war als Insel relativ geschützt, lag es doch mehr als zwei Tagesreisen weit nördlich des Schutzwalles, den der römische Kaiser Hadrian gegen die räuberischen Pikten anlegen ließ. Wenn nur keine dieser Räuberbanden auf den Gedanken kam, mit Flößen bei ruhiger See durch das seichte Wasser von der Küste her zur Insel
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