Die Flammen von Lindisfarne
seiner Hand sah. Mit einem Wort in einer fremden Sprache, das sicher einem Fluch gleichkam, schleuderte der Hüne das nutzlose Speer-Holz zu Boden.
„Hol dir eine andere Waffe, Sklave!“, rief ihm Lars zu. „Oder knie nieder vor der Axt, um dein Leben zu wahren!“
„Meine Hände sind meine Waffen“, grollte der blonde Riese. „Bin ich auch unfreien Standes, so ist mein Stolz doch der eines freien Mannes!“
„Der Freie will sich nicht vor dem Sklaven beschämen“, gab Lars zurück, ließ den Schild vom Arm gleiten und warf die Axt in den Sand. Rasch löste er den Waffengurt, an dem der Sachs hing, und ließ ihn zu Boden gleiten. „Du hast die Faust als Waffe gewählt. Nun greif an oder verteidige dich! Ich bin Lars, den sie den Wolfssohn nennen. Doch Odin selbst, so kündete meine Mutter, ist mein Vater!“
„Widar heiße ich, wie Odins schweigsamer Sohn, der am Tage von Ragnarök den Fenris-Wolf zur Strecke bringen wird!“ gab der hünenhafte Jüngling zurück. „Nun, Wolfssohn, werde ich an dir vollbringen, was mein Namensgeber am Ende der Zeiten mit dem Ahnherrn deines Geschlechts tun wird!“
Lars glaubte, unter einen herabstürzenden Berg zu geraten, als ihn Widar ansprang. Mit beiden Händen packte ihn der mächtige Gegner an den Hüften. Bevor Lars zu einer Gegenwehr fähig war, fühlte er sich emporgerissen und mit elementarer Wucht zu Boden geschleudert. Instinktiv rollte er sich zur Seite, als der Gegner versuchte, mit voller Wucht auf seine Brust zu springen, um ihm durch das auftreffende Gewicht die Rippen zu brechen. Bevor Widar begriff, dass ihm der Gegner entwischt war, sprang Lars katzengleich auf die Beine. Er unterlief den Angriff des Gegners und hämmerte seine beide Fäuste Widars Magengegend.
Pfeifend sog Hüne die Luft ein, beugte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht vornüber und war für einen Augenblick bewegungsunfähig. Doch als Lars breitbeinig vor ihn trat und ihm mit beiden geballten Fäusten von unten herauf den Fangschlag zu geben, hatte sich Widar erholt. Sein Oberkörper fuhr empor und der Hieb des Wolfssohnes ging ins Leere. Ehe Lars noch einmal zuschlagen konnte, hatte ihn der Gegner wieder gepackt. Wie mächtige Schlangen krochen seine Arme um den Körper von Lars und pressten die Luft aus seinen Lungen. Verzweifelt versuchte der Jüngling, nach der Kehle des Gegners zu greifen, doch der Bronzering des Sklaventums schützte Widars Hals und die Finger verkrallten sich vergeblich im kalten Metall. Seiner selbst nicht mächtig hieb Lars die rechte Faust an die Schläfe des Gegners. Widar taumelte und lockerte seinen Griff. Wie ein silberschuppiger Fisch den zugreifenden Händen so glitt Lars nach unten durch die ihn umgreifenden Arme. Nach zwei rückwärtigen Sprüngen nahm er wieder Kampfposition ein.
„Töte ihn mit der Axt, Wolfssohn!“, dröhnte von irgendwoher der Ruf eines Wikingers. „Diesen wilden Ur-Stier zwingt niemand unter das Joch!“
„Ich zwinge ihn oder er mich!“ gab Lars zurück. „Ich bin kein ehrloser Neiding, der einen Waffenlosen tötet!“
Entschlossen nahm der Wolfssohn wieder Kampfposition ein. Die anderen Gefährten kümmerten sich nicht weiter um ihn und seinen Kampf. Sie hatten ihre Gegner getötet oder kampfunfähig gemacht und rannten jetzt hinüber zu den Hütten von Angantyr, wo die letzten wehrfähigen Männer über der Leiche ihres Jarls zusammengehauen wurden.
Als Lars mit erhobenen Fäusten den Angriff fortsetzte, hatte sich der Gegner erholt. Die beiden Hiebe, die in das bartlose Gesicht des Hünen gezielt waren, fing dieser mühelos mit seinen mächtigen Händen ab. Dann schoss Widars Faust vor und traf Lars vor die Brust. Er wurde zurückgeschleudert, als habe ihn der Hammer Thors getroffen. Sofort hatte ihn der riesenhafte Gegner wieder gepackt.
Und dann glaubte Lars, dass ihn ein wütender Bär in seinen Pranken hätte. Widar hatte seine Arme um seine Hüften gelegt und er schleuderte Lars hin und her, dass dieser den Boden unter den Füßen verlor. Verzweifelt versuchte er sich noch einmal mit einigen gezielten Fausthieben Luft zu verschaffen. Doch im selben Augenblick schmetterte ihn Widar mit aller Kraft zu Boden. Bevor sich Lars erheben konnte, war der Hüne über ihm und drehte ihn auf den Bauch. Seine Arme wurden auf den Rücken gedreht und er spürte, wie die Handgelenke rasch mit den Lederriemen zusammengebunden wurden, die Widar um den Gürtel gewunden
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