Die Flammen von Lindisfarne
hatte.
Verzweifelt schrie Lars auf, als er erkannte, dass er gefesselt und dem mächtigen Gegner ausgeliefert war. Mit mächtigem Schwung warf sich Widar seine Beute über die Schulter. Seine Hand lag um die Kehle des Wolfssohnes.
„Wenn du schreist, um deine Gefährten zu rufen, wirst du wissen, warum man mich Widar Eisenfaust nennt!“ grollte er. „Du bist das Faustpfand für das Leben meines ... meines Vaters!“
Und während die Wikinger von Ringan-Fjord wie ein beutehungriges Rudel Wölfe über die Hütten von Grymgard herfielen und die letzten Kämpfer vor Frodins Methalle über der Leiche ihres Jarl starben, hetzte Widar mit seiner Beute den Hügel hinan.
Obwohl das Leder fest war, hatte es Widar nicht geschafft, die Fessel zu sichern. Während ihn der riesenhafte Gegner keuchend den Hügel hinauf schleppte, gelang es Lars, die zu rasch geknüpften Lederriemen abzustreifen. Doch listig wusste er zu verbergen, dass seine Hände frei waren. Der Gegner sollte durch seine schwere Last und den beschwerlichen Weg auf die Höhe des Hügels Kräfte verlieren. Vielleicht gelang es Lars, ihn dann doch noch mit bloßen Händen zu überwältigen. Seine Waffen lagen unten im Tal und Widar hatte sie nicht beachtet.
Aufblickend erkannte Lars die kleine Hütte auf dem Hügel, in welcher offensichtlich der Wächter von Angantyr-Fjord hauste. Wie alle anderen Bauwerke einfacher Leute war sie aus roh behauenen Stämmen errichtet, deren Zwischenräume mit Lehm und Moos abgedichtet waren. Die gekreuzten Dachbalken zeigten zwei Pferdeköpfe und über dem Eingang war das Geweih eines mächtigen Hirsches angebracht. Schwer atmend ließ Widar seine Beute einen Steinwurf von der Schwelle entfernt zu Boden gleiten. Unbemerkt schob Lars die Lederfesseln von seinem Handgelenk. Sein sehniger Körper spannte sich zum Sprung.
Der Mann vor der Hütte war ein Greis, der aus den längst dahin gegangenen Tagen der Altvorderen zu stammen schien. Über der schmucklosen Leinen-Bekleidung trug er einen wollenen Umhang, der ehedem blau gewesen sein mochte. Den Helm bildete der Schädel eines grauen Felsenbären, aus dessen geöffnetem Rachen dolchscharfe Zähne bleckten. Das Fell des grauen Gesellen fiel über die Schultern bis zu denen von Bundschuhen geschützten Füßen herab. Mit beiden fast fleischlosen Händen stützte sich der Alte auf eine langstielige Axt mit einem mächtigen Blatt. Am breiten Gürtel hing ein prächtiges Langschwert mit kunstvoll gearbeiteten Griff. In das lederartige Gesicht des Greises hatte das Alter harte Runen gekerbt. Ein eisgrauer Bart wallte bis hinunter zum Gürtel. Aus den stahlgrauen Augen aber blitze ein Feuer, wie es dem Jüngling eigen ist.
„Alles ist verloren, Vater! Den Ringan-Mannen leuchtet an diesem Tage der Sieg. Groß ist die Schar der Helden, die Frodin Graumantel das Geleit zu Odins Halle geben!“ keuchte Widar.
„So groß die Schar auch sein mag - noch fehlt ein Wikinger, auf den Odin schon lange wartet“, sagte der Greis mit seltsam klarer Stimme.
„Doch dieser Gefangene, den mein Arm überwand und den meine Hände banden, löst uns vor dem Joch der Unfreiheit“, erklärte Widar und tat so, als habe er die Worte des Alten nicht gehört.
„Auch trotzige Tat löst von diesem Joch“, sagte der Greis mit volltönender Stimme. „Das Joch der Knechtschaft ist dir doch vertraut. Du warst ein Knabe, als dich mein Schwert gewann. Damals wusstest du nicht, dass der Tod im Kampf den Mutigen vor dem schmachvollen Los des Sklaven bewahrt! Sonst hättest du,“ ein Lächeln glitt über sein Gesicht, „an jenem Tage trotz deiner Kindheit den Schwert-Tod dem Geschick des Unfreien vorgezogen.“
„So wie ich eher sterbe, als meinen Nacken dem Sieger beuge. Lieber tot als Sklave!“ stieß Lars Wolfssohn hervor und streifte die Fesseln ab. „Ich werde sterben, bevor ich euch zur Beute werde.“ Mit einem kühnen Satz schnellte er aus dem Gras empor. Einen wildem Kampfschrei ausstoßend sprang er den Alten an. Bevor Widar es verhindern konnte, griff Lars zu und riss die Axt an sich. Zwei Sprünge rückwärts und Lars nahm Kampfposition ein, während er mit beiden Händen den langen Schaft der vorzüglich ausgewogenen Streitaxt umklammerte. Fast freundlich sah ihn der Greis an.
„Wisse, es ist der Wetterschlag “, sagte er ohne seinen Platz zu verlassen. „Führe diese Streitaxt nicht zur Unehre!“
„Ich brauche sie, um meine Freiheit
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