Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Flammen von Lindisfarne

Die Flammen von Lindisfarne

Titel: Die Flammen von Lindisfarne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf W. Michael
Vom Netzwerk:
Die Länge der Ruder war verschieden. Am hoch-geschwungenen Bug waren sie um die Länge eines Männerarms vergrößert. Dadurch teilten die Ruder zur gleichen Zeit die Flut wie die Ruder der Männer, die in der Mitte des Schiffes tiefer saßen.
     
    Bevor der Innenausbau des Langbootes begann, hatte man den wenigen Pferden die Mähnen und die Schweife gestutzt, um damit die Ritzen zwischen den Planken abzudichten und mit Teer wasserdicht zu kalfatern. Denn die Wolle der wenigen Schafe, mit denen man diese Abdichtung des Schiffes auch durchführen konnte, wurde für stets für notwendigen Decken und zerschlissene Kleidungsstücke benötigt, doch als das Rosshaar für ein Schiff dieser Größe nicht ausreichte, hatten zum Beginn der Sonnenwendfeier alle Frauen einen Großteil ihres langen Haares opfern müssen, damit das Wasser nicht die geringste Ritze fand, um in das Innere des Schiffes einzudringen. Erst nachdem die gedrillten Haare mit dem Teer die Ritzen der Planken vollständig geschlossen hatten, waren von Björn Baumfäller und Ragnar, den kräftigsten Männern, die Nieten von innen noch einmal angezogen worden. Ein Anstrich aus Teer und Harz machte das Holz widerstandsfähig gegen das ätzende Salzwasser und dichtete den Schiffsrumpf vollkommen ab.
     
    Der äußere Teil der MIDGARDSCHLANGE war seit einem knappen Mond fertig. Während draußen die ersten Winterstürme tobten und die Schneeflocken durch die schneidende Eisluft des grau-verhangenen Wintertages wirbelten, waren die Männer dabei, im wärmenden Schutz der Methalle unter Wulfegars Anleitung aus passend gewachsenen Eichenstämmen mit ausladenden Ästen die für ein nordisches Langboot üblichen neunzehn Spanten zu schlagen. Sie wurden in das Innere des Schiffes eingesetzt und gaben der Konstruktion den nötigen Halt.
     
    Mit grob gedrehten Tauen aus faserigen Fichtenwurzeln wurden sie kunstfertig an den Aststücken befestigt, die man an den Innenseiten der Außenplanken belassen hatte. Über dem Spanten zog man einen mit Winkelhölzern an den Seiten verankerten Querbalken in den Schiffsrumpf und damit war die seitliche Verstärkung des Schiffes fertig. Auf diesen Querbalken wurden später die Decksplanken gelegt.
     
    Brauchbares Abfallholz wurde als Plankenbretter für das Deck hergerichtet. Die kleineren Holzteile legte man für die Seekisten bereit, die den Männern beim Rudern gleichzeitig als Sitz dienten. In diesen Kisten konnten sie ihre wenigen, aber unbedingt notwendigen Dinge für die Seereise aufbewahren. Selbstverständlich dienten diese Seekisten auch dazu, die kleineren Teile der Beute aufzunehmen.
     
    Harald Drachenreiter bearbeitete mit seiner Axt einen mächtigen Eichen-Knorren, der ihm zum Steuerruder werden sollte. Sorgsam beachtete er die Maserung des Holzes und achtete darauf, dass bei der Bearbeitung keine Risse entstanden. Nicht nur sein Leben sondern das der ganzen Schiffsbesatzung hing von der Festigkeit und Stabilität des Ruders ab. Wenn es brach, war das Schiff im schweren Sturm hilflos den Elementen ausgeliefert, da bei starkem Seegang ein Auslegen der Langruder unmöglich war. Einige Rundhölzer neben ihm hatte er bereits so geschaftet, dass sie nach zusätzlicher Glättung des Holzes als Ruderpinnen geeignet waren.
     
    Mit kundiger Hand ließ Nils Krähenfuß, ein Meister des Schnitzmessers, aus der geborstenen Krone des zum Kiel gewordenen Eichbaumes den hoch geschwungenen Schädel und den ringelnden Schweif eines Ungeheuers entstehen. Eine hölzerne Skulptur, die den Vorstellungen der Wikinger von jener MIDGARDSCHLANGE entsprach, die sich nach ihrem Glauben tief auf dem Grunde des Weltmeeres windet.
     
    Die Schuppengebilde der Schlange, die Nils Krähenfuß einritzte, stellten wieder ineinander verschlungene Schlangen dar. So schien sich der Galionsschädel des neuen Langbootes aus einer einzigen Masse ringelnden Gewürms zu formen. Später würde man mit Erd- und Pflanzenfarben die Konturen der Schnitzereien noch stärker hervorheben und das Kunstwerk mit durchsichtigem Harz gegen Wind, Wetter und Meerwasser sichern.
     
    Der Drachenkopf eines Langbootes war nicht nur der Stolz der ganzen Besatzung, sondern er hatte einen rituellen Zweck. Böse Geister zu Meer und zu Land sollten vor dem aufgebäumten Schädel erschrecken und der Fahrt des Schiffes weichen. Außerdem sollte seine furchterregende Scheußlichkeit den angegriffenen Gegner Furcht einflössen.
     
    Fuhr man die eigene Siedlung an oder näherte man

Weitere Kostenlose Bücher