Die Flammen von Lindisfarne

drangen und zottige Felle unkenntlich gemacht. So stellten sie Trolle dar, die aus den Bergen herab-kamen, um die Menschen mit ihrem furchterregenden Anblick zu erschrecken. Sie humpelten auf Pferdefüßen und schleppten lange Kuhschwänze hinter sich her, wenn sie fackelschwingend durch die Siedlung tobten.
     
    Die kleinen Kinder grauselten sich vor den Trollen und flüchteten unter die Schürze der Mutter, wenn die aus den kleinen Luken in der Tür auf das wilde Treiben starrten, wenn die Schreckensgestalten in schauerlichem Reigen vor den Hütten tanzten und mächtige Bocksprünge vollführten. Manch ein Kind vergaß ganz, dass  die großen Brüder ja gar nicht anwesend war, um seine Kleinen zu beschützen.
     
    Wie groß aber war die Not, wenn es plötzlich an der Türe polterte und sich einer der zottigen Trolle in die Stube drängte und die Kinder zu suchen begann. Da half es nichts, sich unter Tischen, Bettgestellen oder dem langen Rock der Mutter zu verbergen. Hohnlachend zog der Troll die verängstigten Kleinen aus ihrem Versteck während die Meute draußen, die durch die geöffnete Tür alles mit ansehen konnte, vor Vergnügen tobte.
     
    Versuchte einer der älteren Jungen, mit seinem hölzernen Schwert dem Troll entgegen zu treten, um die kleineren Geschwister zu beschützen, bezog er eine tüchtige Tracht Prügel auf die Kehrseite. Welches Entsetzen, wenn der Troll jedem der Kinder die kleinen Verfehlungen und Nachlässigkeiten oder Ungehorsam gegen die Worte der Eltern auf den Kopf zusagte. Die unheimlichen Gesellen der Felseinöde schienen alles genau zu wissen. Und während der Troll sich an der Angst der Kleinen weidete erzählte er, dass Odin die Trolle gesandt habe, die Kinder für ihre Unartigkeiten zu bestrafen.
     
    Denn Hugin und Munin, Odins Raben, fliegen über die Welt und erzählen dem Herrn von Walhall auch von Kindern, die ihren Eltern nicht gehorchen. Wenn dann Odin an der Spitze seines Heeres durch die Wolken reitet, dann sendet er die Trolle als seine Knechte aus, die Kinder in ihre Felsenhöhlen zu schleppen und dort büßen zu lassen.
     
    Dann legte sich die Mutter ins Mittel und empfahl den Jungen, zu Odin und Thor, den Mädchen aber zu Frigga und Freya zu beten, dass sie den Troll zurückrufen mögen. Daraufhin sagten die Kleinen mit weinerlichen Stimmen einige gelernte Stabreime auf. Dann wurde der Troll plötzlich freundlich und zog unter seinem dichten Fell plötzlich kleine Geschenke heraus. Für die Knaben meist ein aus Holz geschnitzes Schwert als Geschenk von Odin und für die Mädchen eine Puppe, die Frau Frigga sandte. Dann hüpfte der Troll aus der Hütte und die wilde Meute draußen trieb anderswo ihren Schabernack.
     
    Sorgsam wurde für Odin der vom Sommer übrig gebliebene Met aufbewahrt. Denn der Gott isst nicht, sondern ernährt sich allein vom Met. In den Wintertagen jedoch wurde der wenige verbliebene Honig zum Süßen des Haferbreis benötigt, deshalb wurde bereits während der Tag- und Nacht-Gleiche in mächtigen Holzbottichen Gerste zu Ael vergoren, das durch den Zusatz verschiedener Kräuter einen herben Geschmack bekam, der durch etwas Honig wieder ausgeglichen wurde.
     
    Vor die Tore der Höfe warf man einen Bund Heu, damit die Pferde Odins und seiner Begleiter etwas zu fressen hatten und hinderte die Frauen, in diesen Tagen frisch gewaschene Wäsche auf Leinen zum Trocknen zu hängen, damit Odins Wolkenpferd sich nicht im sausenden Galopp darin verfing und strauchelte. Auch buk man in diesen Tagen keine Brotfladen, damit nicht Odins Hetzhunde vom Duft angelockt die Brote verschlangen.
     
    Heute, am zwölfen und letzten Tage des Festes, hatten sich alle Männer der Thing-Gemeinschaft in Haakons großer Methalle versammelt. Die Spanten, das Steuerruder und die anderen unförmigen Dinge, an denen die Männer in den letzten Tagen vor der Sonnenwende gearbeitet hatten, waren in die Scheunen eingelagert worden. Nur der fast fertige Drachenkopf der MIDGARDSCHLANGE war hoch aufgerichtet hinter dem Hochsitz des Jarl angebracht. Aus seelenlosen Augen starrte das Ungetüm auf die Männer herab, denen es auf der Meer-fahrt zu Kampf und Sieg voran eilen sollte.
     
    „Nachdem das Schiff durch unseren Trunk seinen Namen erhalten hat, tue es uns mit einem Trunk Bescheid! Einem Trunk, von einer Jungfrau gereicht! So ist es Brauch nach der Sitte der Altvorderen“ rief Haakon Bärensprung mit lauter Stimme.
     
    „Eine Jungfrau, die gleichzeitig Braut ist! Und die