Die Flammen von Lindisfarne
sich befreundeten Behausungen, wurde der Drachenkopf vom Bug entfernt. Das Gleiche galt, wenn die Wikinger auf Handelsfahrt waren oder aus Gründen ihrer Tauschgeschäfte einen Hafen anliefen. Doch konnte eine vom hohen Mast ausgespähte geringe Besatzung der Hafenwache schnell dazu führen, dass man den Drachenkopf wieder aufpflanzte und aus den Händlern Räuber und Plünderer wurden. Denn nach dem Ehrenkodex und dem Sitten des Nordens war Seeräuberei oder Überfälle auf wehrlose Siedlungen nichts Verwerfliches. Wer nicht stark genug war, seinen Besitz zu verteidigen, der hatte nicht zu klagen, wenn einer kam, der ihm nach dem Recht des Stärkeren alle seine Habe wegnahm.
Björn Baumfäller schwitzte bei der Bearbeitung eines unglaublich harten Eichenstumpfes. Nach Anweisung von Wulfegar schuf er daraus eine Konstruktion, mit der man bei aufkommendem Sturm oder im Gefecht den Mast umlegen konnte.
Es hatte lange gedauert, bis der Sachse den neuen Gefährten dieses Geheimnis so erklärt hatte, dass sie es begriffen und akzeptierten. Bisher hatten die Wikinger immer in höchster Sturmgefahr den Mast mit den Äxten umgeschlagen. Nun sollte es möglich sein, selbst bei rauer See den Mast mit Hilfe einiger Seile und Rollen problemlos umzulegen?
Das wollte keiner der erfahrenen Seemänner glauben. Doch Sigurd Schildspalter war dem Sachsen beigesprungen. Zwar hatte er noch kein solches Schiff gesehen, aber bereits davon gehört, dass schon die alten Völkern am Meer von Midgard, wie die Wikinger das Mittelmeer nannten, Vorrichtungen zum Umlegen der Schiffsmasten ersonnen hatten. Und in Jahrhunderten der Seefahrt war diese Erfindung bei Krieg- und Handelsschiffen erprobt und verbessert worden.
Sigurds Worte gaben den Ausschlag. Wo der Wikinger auch die Sitten und Gebräuche der Welschen im Südland ablehnte so war es doch sicher für einen tüchtigen Nordmann von Vorteil, sich ihre Erfindungen nutzbar zu machen.
So waren die nötigen Vorrichtungen für dieses Manöver mit den Seilrollen im Bug bereits von Anfang an eingebaut worden. Und an der Stelle, wo der Mast bewegt wurde, baute man eine zusätzliche Verstärkung des Kiels ein und die Wikinger lachten dröhnend, als der Sachse von einem Kielschwein redete.
Die Segel-Rahe hatte fast die Länge des Mast-es und die Wikinger konnten nicht genug den Kopf schütteln, als Wulfegar erklärte, dass ein solch großes Segel das Schiff schneller machte. Das Argument Harald Drachenreiters, dass ein Schiff mit einem so großen Segel kentern könne, wenn der Wind so rasch umschlage, dass der Steuermann ein Krängen des Schiffes nicht ausgleichen könne, wurde von Wulfegar mit dem Hinweis auf die stabilisierende Wirkung des Kiel entkräftet.
Seit zwei Monden waren die Frauen von Ringan eifrig dabei, die roten und weißen Stoffbahnen für ein doppelt gewebtes Segel aus fester Wolle zu schaffen, die man dann mit festen Lederriemen zusammenfügen wollte. Alte Männer drehten geschickt Seile aus Werg, die man zusätzlich auf die Segel aufnähte und sie so noch haltbarer gegen die Gewalt der tobenden Stürme des Nordmeeres machte. Auch schnitzten die Greise an Zapfen aus dem Holz von Fichtenwurzeln, mit denen man nach Bedarf die Ruderlöcher verstopfen konnte.
Doch jetzt zur Feier der Winter-Sonnenwende ruhte die Arbeit.
Zwölf Tage zählte man, in denen Odin an der Spitze seines Heeres durch die Lüfte ritt und gelegentlich die Höfe und Siedlungen der Nordleute besuchte, um zu prüfen, ob dort noch das Gastrecht nach alter Väter Sitte galt. Und da konnte man den Herrn von Walhall mit seinen Getreuen nicht wegen der Arbeit an einem Schiff abweisen, sondern musste dafür sorgen, dass er sich sofort im Kreise einer ausgelassenen Feier wohlfühlte.
In diesen Tagen wurde bei den gemeinsamen Feiern in der Halle auch ein Tisch gedeckt, an den niemand Platz nahm. Denn er war für die Toten reserviert, die nach dem Glauben des Nordens in diesen Tagen von Odins schweifender Heerschar Urlaub nahmen um unsichtbar zu erscheinen um im Kreise ihrer alten Thing-Gemeinschaft wieder einmal fröhlich zu sein. Selbst dem Vieh in den Ställen hatte man die letzte Getreidegarbe des Sommers als Festfutter vorgeworfen.
In den Nächten der Wintersonnenwende sprang vermummten Jungvolk randalierend, grölend und unzüchtige Lieder singend durch die Siedlung. Sie hatten sich durch grauenerregende, hölzerne Gesichtsmasken, aus deren Stirnseite lange Hörner
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