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Die Flammen von Lindisfarne

Die Flammen von Lindisfarne

Titel: Die Flammen von Lindisfarne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf W. Michael
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eisigem Schweigen.
     
    Bevor einer der Männer in der Halle wagte, seine Lippen zu öffnen, beugte sich die Greisin über die Runen. Mehrfach schüttelte sie den Kopf. Dann kroch sie im Kreis um die Runen herum, da die heiligen Zeichen aus einem anderen Blickwinkel gesehen auch eine andere Deutung hatten. Diese Kunst der Runen-Deutung verstand nicht einmal Hrolf Silberhaar so treffend wie die alte Wala.
     
    „Künde uns, Seherin, dein Gesicht!“ ermannte sich Jarl Haakon nach einer kurzen Weile die unheilsschwangere Totenstille der Halle mit seiner Stimme zu entweihen.
     
    „Lass mich schweigen! Die Wahrheit schmerzt!“ gab die Greisin zurück und sammelte die Runen ein.
     
    „Wiesen die Runen die Schuld des Wolfssohnes?“ fragte Wulfegar. „Seine Schuld, die keine Schuld ist!“ nickte Ruwala.
     
    „Und was hat er getan?“ wollte der Sachse wissen.
     
    „Frage lieber, was er nicht getan hat!“ gab die Greisin zurück. „Das ist seine Schuld!“
     
    „Du beleidigst mich, Priesterin!“ fauchte Thursula.
     
    „Ich redete das Raunen der Runen!“ gab Ruwala zurück. „Nicht meine Stimme war es, sondern die der ewigen Götter. Rechte mit Odin, wenn du dich beleidigt fühlst!“
     
    „Willst du, mein künftiger Gemahl, nicht für meine Ehre streiten?“fuhr Thursula den Knochenbrecher an. „Die Worte der weisen Frau hinderten dich, deinem Vater das zu geben, was eigentlich deinem Nebenbuhler gebührt - den Tod!“
     
    „Ich bin nicht dein Nebenbuhler, Sohn meines Jarl!“ gab Lars mit fester Stimme zurück. „Nicht meine Hand noch ein anders Teil meines Körpers haben sie so berührt, dass es die Ehre kränkt. Doch ist es wahr, dass ich den Körper deines künftigen Weibes nackt sah, bevor sich deine Augen daran weiden konnten. Sie wies ihn mir ohne meinen Willen - und wer wollte den Blick wenden vor einer Schönheit, die Freya an einem ihrer Wonnetage schuf?“
     
    Die Wikinger grölten vor Vergnügen. War der heilige Tugendgürtel einer Jungfrau erst einmal gebrochen, sah man vieles nicht mehr sonderlich genau, so lange es in aller Heimlichkeit geschah. Manch einer der Männer erinnerte sich an eine ähnliche Situation, wenn ein Weib ihr Gewand öffnete und mit den Reizen ihres Körpers lockte.
     
    „Er lügt um sein Leben zu retten!“ giftete Thursula. „Er geht Lokis Weg, um deinen Fäusten zu entgehen, mein künftiger Gemahl!“
     
    „Der ehrlose Neiding wird es nicht wagen, unter meinen Fäusten für seine Worte Buße zu tun!“ knirschte der Sohn des Jarl.
     
    „Wenn du meinen Worten nicht glaubst, Thorleif, dann können nur die Götter meine Ehre herstellen!“ rief Lars mit lauter Stimme. „Nein, Widar, kein Wort, denn sie glauben weder meiner Rede noch deinem Zeugnis. So rufe ich Odin, meinen Vater an, mir im Kampf die Kraft zu verleihen, die Wahrheit meiner Worte zu weisen!“
     
    „Du...du wagst den Kampf, Wolfssohn?“ fragte Haakon verwundert.
     
    „Und welche Waffe wählst du?“ setzte Thorleif hinzu, als Lars nickte.
     
    „Die Waffe, die du wählen wirst, Thorleif. Denn du bist es, der mich herausgefordert hat!“ gab Lars kalt zurück.
     
    „Aber ich wähle den Arm und die Faust!“ gab Thorleif zurück. „Und du weißt, dass mich noch niemand in Ringan im Ringkampf besiegte oder mit der Faust zu Boden schlug. Auch dir wird es nicht gelingen, Wolfssohn!“
     
    „Odin selbst wird ihm Kraft geben, damit die Wahrheit zutage tritt!“ kicherte Ruwala.
     
    „Gut denn! Kampf!“ dröhnte die Stimme Haakon Bärensprungs. Auf seinen Befehl rückten die Knechte die Tische der Ehrentafel beiseite, um Platz für den Streit zu schaffen. Lars entledigte sich seiner Kleider, so dass er bis auf einen Lendenschurz aus dünnem Leder völlig nackt war. Bewundernd sah er die Blicke der Frauen auf seinem schlanken, muskulösen Athletenkörper ruhen, unter dessen wetterbrauner Haut nicht ein Lot überflüssiges Fett zu finden war. Der geschmeidige Körper eines Jünglings, der zum erwachsenen Manne heranreifte.
     
    „Freyer, dem Lichtgott, gleichst du, Jüngling!“ vernahm er die Stimme der Wala, die sich neben ihn drängte. „Nun kämpfe auch wie Freyer gegen diesen riesenhaften Enkel Ymirs an. Du musst siegen, denn zur Wintersonnenwende kämpft der Gott gegen die Eisriesen des Winters. Und wie Freyer den Frühling herbeilockt, indem er die Unholde aus Eis und Schnee niederwirft, so schaffe du wieder den Frühling einer fröhlichen Stimmung in die Halle, denn böse

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