Die Flammen von Lindisfarne
grollende Stimme Haakon Bärensprungs den Streit. „Hat einer der Braut meines Sohnes vor der Zeit die Züchtigkeit geraubt?“
„Sie kam in die Schmiedehütte, während ich arbeitete und redete mit mir!“ gestand Lars Wolfssohn. „Als Widar dann kam, verließ Thursula die Hütte. Das ist alles!“
„Was hast du dazu zu sagen, Tochter!“ Wulfegars Stimme klang hart wie ein Felsenriff.
„Es ist wie er sagt!“ nickte Thursula. „Aber...er sah meinen nackten Körper...!“
„Ich wollte deine Ehre wahren und nicht darüber reden!“ stieß Lars hervor. „Nun hast du es selbst getan!“
Für einen Augenblick war es ganz still in der Halle. Jeder war sich der Bedeutung dieser Worte bewusst. In Thorleifs Gesicht arbeitete es. Es dauerte einige Zeit, bis er die entstandene Situation begriffen hatte. Dann aber wuchs sein riesenhafter Körper empor, die Fäuste ballten sich und die Zornesadern an den Schläfen schwollen an.
„Der Mann, dessen Augen das künftige Weib Thorleif Knochenbechers in ihrer ganzen Schönheit erblickten, der soll sterben!“ grollte Thorleifs Stimme im ausbrechendem Zorn. „Ich bringe dich um, Wolfssohn, und wenn dir auch alle Walküren Odins zu Hilfe eilen sollten!“
Mit einem mächtigen Sprung war er am Hochsitz des Vaters, wo das Wehrgehenk mit dem Schwert des Jarl an einer Armlehne hing. Wut-brüllend zerrte er die Klinge frei und schwang sie auf Lars Wolfssohn, der ohne die geringste Bewegung stehen blieb und ihn mit eisigem Blick musterte.
„Fahre zur Hel, du schamloser...!“ Weiter kam er nicht, denn der hatte Jarl hinter sich gelangt und vom Tisch die bereits stark abgenagte Hinterkeule eines Hirsches ergriffen. Mit der vollen Wucht aus der Drehung heraus schlug er den armdicken Knochen dem wutschäumenden Sohn ins Gesicht. Thorleif brüllte auf, ließ das Schwert fallen und taumelte rückwärts. Als er sich wieder erhob, lief der rote Balken eines mächtigen Blutergusses quer über sein Gesicht.
Die Männer brüllten auf und sprangen von den Sitzen empor, als Thorleif wie ein Rasender das Schwert aufraffte und gegen den eigenen Vater schwang. Mit einem mächtigen Satz war der alte Bärensprung hinter einem der Pfosten seines Hochsitzes in Deckung gegangen. Die herab sausende Klinge verbiss sich im Holz und Späne rieselten herab.
Knirschend vor Wut riss Thorleif die Waffe frei. Im gleichen Augenblick brach Haakon aus seiner Deckung hervor. Doch in seiner Hand blinkte das Blatt einer mächtigen Streitaxt, die hinter dem Hochsitz ruhte. Brüllend wie zwei rivalisierende Auerochsen fielen Vater und Sohn einander an. Aber bevor Schwert und Axt zusammen klirrten, fuhren die beiden Gegner zurück.
Mit einem schrillen Schrei hatte Ruwala die hölzernen Runenstäbe zwischen sie geschleudert. Mit dieser Tat war Gottesfrieden geboten. Wer ihn brach, wurde ohne Ansehen der Person von der ganzen Thing-Gemeinschaft auf der Stelle ertränkt.
So hoch, dass er sich über Odins Gebote hinweg setzen konnte, stand nicht einmal ein Jarl. Seine eigenen Männer hätten Haakon oder Thorleif ergriffen und im Wasser des Fjord ersäuft, hätten sie nicht sofort die Waffen gesenkt, als die Wala den Frieden der Runen geboten hatte.
„Wahrlich, Hrolf Silberhaar, Allvaters Priester sprach wahr!“ erklang die Stimme der alten Seherin. „Herbst ist in der Welt und die Götterdämmerung angebrochen. Wahr werden sie, die alten Prophezeiungen vom Ende der Welt. Der Sohn steht gegen den Vater und schwingt die Waffe gegen den Mann, der ihm das Leben gab!“
Dann begann sie mit hoher, durchdringender Stimme in einer eigenartigen Melodie die uralten Weissagungen vom Ende aller Zeiten zu singen, während Olafs Finger über die Saiten der Harfe glitten und die Worte von Ruwalas Gesang untermalten.
„Fern sehe ich voraus und vieles kann ich sagen.
Der Welt Untergang und der Asen Vernichtung.
Brüder befehden sich und fällen einander.
Verschwisterte brechen der Sippe Band.
Der eine schont des anderen nicht mehr.
Ehebruch wütet, arg wird die Welt.
Beilalter kommt und Schwertalter, wo Schilde zerschellen.
Sturmzeit und Wolfszeit ehe zerstürzt die Welt!“
Mit einer schrillen Disharmonie brach der Gesang der Wala ab. Mit den Fingernägeln fuhr der Sklade über die Seiten seiner Harfe, dass es wie ein auf-gellender Todesschrei klang. Langsam und ersterbend verwimmerten die Töne des Instruments in
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