Die Flammende
nüchtern und teils albern war. Sie mochte die Gärten und die alten zerbröckelnden Statuen, die Brunnen auf den Plätzen, die Museen und Bibliotheken und bunten GeschäftsstraÃen, durch die Clara sie führte. Sie mochte die belebten KopfsteinpflasterstraÃen, wo die Leute so mit ihrem geräuschvollen Lebensstil beschäftigt waren, dass sie manchmal den bewachten Stadtrundgang der Monsterlady gar nicht bemerkten. Manchmal. Einmal beruhigte sie eine Gruppe Pferde, die gescheut hatten, weil einige Kinder zu nah hinter ihnen vorbeigelaufen waren, murmelte ihnen etwas zu und tätschelte ihre Hälse. Das Treiben auf dieser StraÃe kam zum Erliegen und wurde erst wieder aufgenommen, als sie und Clara um eine Ecke gebogen waren.
Die Brücken gefielen Fire. Es gefiel ihr, mitten darauf zu stehen und hinabzusehen, im Gefühl, sie könnte fallen, aber im Wissen, dass sie nicht fallen würde. Die Brücke, die am weitesten von den Wasserfällen entfernt war, war eine Zugbrücke; Fire mochte die Glocken, die läuteten, wenn sie sich hob und senkte, gedämpft, beinahe melodisch raunten sie zwischen den anderen Stadtgeräuschen hindurch. Sie mochte die Lagerhäuser und Docks entlang des Flusses, die Aquädukte und Abwasserkanäle und die Schleusen, die quietschend und langsam Versorgungsschiffe zwischen dem Winged River und dem Hafen auf und ab transportierten. Ganz besonders gefiel ihr Cellar Harbor, wo die Wasserfälle einen Nebel aus Meerwasser erzeugten und alles Geräusch und Gefühl übertönten.
Langsam begann sie sogar zu mögen, wie sich die Krankenhäuser anfühlten. Sie fragte sich, welches davon ihren Vater von dem Pfeil in seinem Rücken geheilt hatte, und hoffte, dass die Chirurgen auch guten Menschen das Leben retteten. Vor den Krankenhäusern warteten immer sorgenvolle Leute. Fire warf ihnen einen Blick zu und berührte sie mit dem heimlichen Wunsch, dass ihre Sorgen ein gutes Ende haben mochten.
»Früher gab es in der ganzen Stadt medizinische Fakultäten«, erzählte Clara ihr. »Haben Sie von König Arn und seiner Monsterberaterin Lady Ella gehört?«
»Ich kann mich aus meinem Geschichtsunterricht an die Namen erinnern«, sagte Fire nachdenklich, aber viel mehr fiel ihr nicht ein.
»Sie regierten vor gut hundert Jahren«, sagte Clara. »König Arn war Kräuterheilkundiger und Lady Ella Chirurgin und sie waren wirklich ein bisschen besessen von dem Thema â es gibt Geschichten darüber, dass sie absonderliche medizinische Experimente an Leuten durchführten, die sich wahrscheinlich nicht damit einverstanden erklärt hätten, wenn es nicht ein Monster gewesen wäre, das den Vorschlag gemacht hatte, wenn Sie wissen, was ich meine, Lady. Und sie schnitten Leichen auf und studierten sie, aber niemand wusste so genau, wo sie die Leichen herhatten. Na ja«, sagte Clara und hob höhnisch eine Augenbraue. »Wie auch immer, sie haben unser Verständnis von Heilkunde und Chirurgie revolutioniert. Dank ihnen kennen wir die heilenden Eigenschaften all der seltsamen Kräuter, die in den Felsspalten und Höhlen an den Rändern des Königreichs wachsen. Unsere medizinischen Kenntnisse darüber, wie man Blut stillt und verhindert, dass Wunden eitern, Geschwüre bekämpft und Knochen schient, stammen von ihren Experimenten. Allerdings haben sie auch die Drogen entdeckt, die das Bewusstsein der Menschen zerstören«, fügte sie betrübt hinzu. »Und die Fakultäten sind inzwischen sowieso geschlossen; es gibt kein Geld für die Forschung. Für die Kunst übrigens auch nicht, genauso wenig wie für die Technik. Alles flieÃt in die Sicherheit â in die Armee, den kommenden Krieg. Die Stadt wird wahrscheinlich bald verkommen.«
Die Stadt verkam bereits, dachte Fire, behielt den Gedanken aber für sich. Sie sah die ausgedehnten heruntergekommenen Stadtviertel, die am Südufer des Flusses an die Docks grenzten, und die baufälligen Gassen, die plötzlich in Gegenden des Stadtzentrums auftauchten, wo man sie eigentlich nicht erwartete. Es gab sehr viele Teile der Stadt, die nicht dem Wissen oder der Schönheit oder irgendetwas Gutem gewidmet waren.
Einmal nahm Clara sie mit zum Mittagessen zur Mutter der Zwillinge, die ein kleines, hübsches Haus in einer StraÃe mit lauter Blumenläden besaÃ. Sie hatte auch einen Ehemann, einen
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