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Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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Begriffen wie Kindheit und Wärme und Muttermilch, wie es scheint, mit etwas Vergangenem und dabei Verlorenem, mit der Schattenseite ... ein Trost, eine Berechtigung, ein Fundament, ja, er weiß nicht so recht, wie er es eigentlich benennen soll. Zum Teil hat es sicher auch mit der Spritze zu tun, die er von Schwester Morgenstern bekommen hat. Und vermutlich nicht gerade wenig.
    Und genau in diesem Moment tritt sie ein ... nein, nicht Schwester Morgenstern, sie muss für heute gegangen sein, es ist eine schlecht informierte Nachtschwester, sie kommt mit ihrem klappernden Wägelchen und möchte wissen, ob die Herren möglicherweise ein Becken brauchen oder etwas anderes von den Fazilitäten, die das Krankenhaus zu bieten hat.
    Aber da brechen beide Herren in das gleiche unkontrollierte Jungengelächter aus wie vor kurzem auf dem tiefsinnigen philosophischen Fußboden – aber davon kann die uninformierte Schwester ja nichts wissen, also stemmt sie die Hände in die Hüften und erklärt, dass das hier ein Krankenhaus sei und kein Vergnügungsschuppen. Dass es das Beste wäre, wenn sie jetzt den Mund hielten und das Licht löschten.
    Sonst könnte es ein Rezidiv und Gott weiß was geben. Angesichts dessen und angesichts der Dunkelheit, die eintritt, als sie auf den Knopf drückt, geben die beiden klein bei.
    Und fallen auch bald schon in den Schlaf.
     

17
     
    DAS TAGEBUCH
     
     
 
    Montag
    Ein fast klarer Tag mit kräftigem Wind aus Südwest. Wir wanderten wie gestern am Strand entlang, bogen aber in Höhe des Leuchtturms an Punkt 212 in die Heide ab. Sie wollte mir eine Stelle zeigen, wie sie sagte.
    Nach einer Weile, wir waren sicher eine Stunde gelaufen, ohne einem einzigen Menschen zu begegnen, erreichten wir eine lang gestreckte Anhöhe mit einem kleinen Steinhaufen oben auf der Kuppe. Wir kletterten hinauf und ließen uns auf der anderen Seite im Windschatten nieder. Die Heidelandschaft erstreckte sich weit ins Land hinein, aber auf diese Entfernung konnte man die Silhouette des Ortes Gimse nur erahnen. Ich musste zugeben, dass ich noch nie zuvor in diesem Landstrich gewesen war, obwohl ich nur ein paar Meilen von hier geboren und aufgewachsen bin.
    Unter uns lag eine Mulde mit einer kleinen Gruppe von Laubbäumen, und dorthin richtete sie meine Aufmerksamkeit.
    »Sieh mal«, sagte sie und zeigte hinunter.
    Sie machte eine kurze Pause, dann fügte sie hinzu:
    »Unter den Bäumen stehen die Pferde, träumend.«
    Und so war es tatsächlich. Unter den Bäumen standen vier zottige Heidepferde, zwei ausgewachsene und zwei Fohlen. Ungewöhnlich langbeinig erschienen sie mir und vollkommen ruhig. Vielleicht hätte ich sie nicht einmal bemerkt, wenn sie mich nicht auf sie aufmerksam gemacht hätte.
    »Wir sind in letzter Zeit oft hierher gekommen«, fuhr sie fort. »Er konnte hier stundenlang sitzen und die Pferde im Gehölz betrachten. Und das Einzige, was er sagte, war genau dieser Satz: Unter den Bäumen stehen die Pferde, träumend. Kannst du das verstehen?«
    Ich antwortete nicht sofort, aber dann sagte ich schließlich, doch, das könne ich.
     
 
    Unter den Bäumen stehen die Pferde, träumend? Ja, während ich hier am Abend sitze und das aufschreibe, kann ich Tomas Borgmann ganz deutlich vor mir sehen, wie er oben am Steinhaufen sitzt. Sein Äußeres wie sein Inneres.
    Das Bild erinnert mich an einen alten Film, in dem ein Mann sich wünschte, in ein Gemälde gehen zu können. Jeden Tag besuchte er das Museum in seiner Stadt und stand lange vor einem Gemälde, das einen Fischer am See Genezareth darstellte. Eines Morgens gelang es ihm schließlich, aber am Abend zuvor hatte das Personal alle Bilder umgehängt. So landete er stattdessen in »Die Diebe am Kreuz« .
     
 
    Wir kamen erst in der Dämmerung zum Haus zurück. Auf dem Rückweg erzählte ich weiter vom Herbst in Grothenburg damals. Sie unterbrach mich so gut wie nie, und ich bekam erneut den Eindruck, dass alles für sie neu war. Sie hörte mir die ganze Zeit sehr aufmerksam zu, hakte sich sogar bei mir unter und ging ganz dicht neben mir, um auch ja nichts von dem, was ich sagte, zu verpassen. Es schien mir, als malte sie ein Portrait. Das Portrait von Tomas.
    Ja, so ist es wirklich. Mit den alten Farben meiner eingetrockneten Palette malt sie ihr Bild von Tomas fertig. Es tut mir weh zu wissen, wie verdorben das Kunstwerk zum Schluss sein wird.
    Dass er in seinem Innersten sehr gelitten hat, daran zweifle ich nicht eine Sekunde. Die letzten

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