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Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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Jahre sprechen ja eine deutliche Sprache, aber er muss doch schon früher, von Anfang an, gewusst haben, dass es eines Tages herauskommen würde. Es wundert mich wirklich, dass es ihm gelungen ist, so viel in seinem Leben zu erreichen; schließlich erlangte er Weltruhm. Die verlockendste Erklärung wäre natürlich, dass er das dank meiner erreicht hat. Dass er in gewisser Weise unser Abkommen eingehalten und unsere metaphysischen Ausgangspunkte bewahrt hat. Oder hat es so etwas nie gegeben? Ist das nur wieder einmal etwas, das ich mir erst im Nachhinein vorstelle? Ich bin mir alles andere als im Klaren darüber, wie es sich eigentlich mit diesen Dingen verhält.
    Nun widme ich ihnen eigentlich nicht besonders viele Anstrengungen. Ich kann nicht sagen, was mein Gehirn hier draußen am meisten beschäftigt. Ich habe Probleme, meine Gedanken zu sammeln, alles scheint so eine Würde und so ein Gewicht zu haben, dass es meine Fähigkeiten übersteigt. Ich kann es mir nicht zu Nutze machen, nicht die Zeichen deuten, die mir in den Weg gestreut werden, und nicht mein Bewusstsein auf einen Punkt ausrichten. Ich fühle mich mal fasziniert von dem Aufenthalt in diesem Haus, mal eher angeekelt. Wenn ich nicht mein Wort gegeben hätte, dann würde ich vermutlich von hier weggehen, sobald sich die Gelegenheit bietet.
    Vielleicht habe ich auch Angst, dass etwas zwischen Marlene und mir passieren könnte, bis wir den siebten Tag erreicht haben. Ich weiß, dass ich nicht werde widerstehen können. Ich sehne mich nach Birthe und einem ganz unkomplizierten Beischlaf, das wäre mir zweifellos eine große Hilfe in meiner prekären Lage. Letzte Nacht träumte ich, dass ich mit einer anderen Frau geschlafen habe, vielleicht war es Nadja, die Betrachterin. Als ich aufwachte, dachte ich zunächst, ich hätte im Schlaf einen Erguss gehabt, aber es zeigte sich, dass es der Krebs war, der eine zähe Flüssigkeit von sich gegeben hatte.
    Heute Abend ist er fast wieder trocken, aber er tut weher als je zuvor. Ich überlege, vielleicht Marlene um etwas zu bitten, was ich darauf legen kann, eine Kompresse oder Ähnliches, aber das wird auf jeden Fall bis morgen warten müssen. Sie ist bereits ins Bett gegangen, wie ich gehört habe.
    Ich selbst habe eine Stunde in der Bibliothek verbracht. Hatte heute Probleme, etwas auszusuchen, aber zum Schluss entschied ich mich für »Die Summe des Augenblicks« von Hans Mathias Möller und Rilkes »Duineser Elegien« in schönem Ledereinband.
    Als ich planlos im Letzteren blätterte, stieß ich auf die Zeilen:
     
    Liebende könnten, verstünden sie’s,
in der Nachtluft wunderlich reden.
Denn es scheint, dass uns alles verheimlicht.
     
    Es ist mir klar, dass ich die Elegien schreiben muss, wenn ich wieder Zeit habe. Ja, vielleicht werde ich mir genau dieses Werk als nächstes vornehmen, wenn ich wieder wohlbehalten zu Hause bin. Und wenn ich mein Schauspiel unter Dach und Fach habe.
    Aber nicht Rilke kommt mir in den Sinn, als ich gerade meinen Stift hinlegen und das Buch für heute Abend zuklappen will, sondern die Zeile von der Heide.
     
 
    Unter den Bäumen stehen die Pferde, träumend.
     
     
 
    Plötzlich erscheint sie mir so vertraut, dass sie jeglichen Inhalt verliert.
    Ich denke eine Weile darüber nach. Genau so, sage ich mir, werden unsere Eindrücke in Worte eingefangen, und wenn wir es nicht rechtzeitig tun, werden sie für alle Zeit ins Nichts zerfallen.
    Ja, genau so.
    Aber jetzt ins Bett. Die Nacht ist schwarz, das Meer rollt beständig.
     

18
     
    W as weißt du über ihn?«
    »Über wen? Hockstein?«
    »Ja, natürlich.«
    »Nicht viel. Wieso? Warum fragst du?«
    Tomas Borgmann kippelt mit dem Stuhl und sieht ungeduldig aus.
    »Weil ich nur seinetwegen hierher gekommen bin natürlich. Zumindest ist das einer der Gründe. In Würgau hatten wir nur Bluum und Ditmaar. Mit denen ist kein großer Staat zu machen, beides trockene Empiristen ... da war kein Weiterkommen möglich. Ditmaar ist übrigens leichter Alkoholiker, aber das bleibt unter uns. – Nun?«
    Leon überlegt.
    »Nun ja, ich weiß das, was halt die meisten wissen, wie ich annehme ... weder mehr noch weniger.«
    Tomas sieht noch ungeduldiger aus. Sie sitzen an dem blauen Tisch im Vlissingen mit Ingwerkaffee und Rosinenbrötchen. Sind gerade von Professor Hocksteins Einführungsvorlesung für die Drittsemester gekommen: »Daimonion, Imperativ, Utilitarismus – drei Zweige am gleichen Baum.« Eine ziemlich verwirrende

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