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Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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Neuankömmlinge – wenn sie nicht vollkommen aus dem Rahmen fallen ... und im Grochshaus, der Akademie selbst, ist das Grün auf den Mauern üppiger und dichter gewachsen als je zuvor. Plötzlich fängt alles in ihm an zu schmerzen, und der Gedanke, dass er bald gezwungen sein wird, diese Welt zu verlassen, erscheint ihm vollkommen absurd. Natürlich ist es unabdingbar, dass er hier lebt, wenn er genauer darüber nachdenkt, dass er sich um nichts anderes als das Leben innerhalb dieser verwitterten und verwitternden Mauern kümmern muss. Natürlich muss er noch bleiben, oder? Was denn sonst? Geistige Armut und frühzeitiger Tod in der Provinz? Sic, wie man so schön sagt.
    Außerdem ist das doch wohl auch kaum eine unangemessene Hoffnung? Oder? Die Hoffnung, bleiben zu können.
    Und schließlich stehen ihm Mittel und Möglichkeiten zur Verfügung. O ja.
    Und dennoch: Wie schwer ist es doch, seine eigenen Fähigkeiten einzuschätzen.
    Mene mene tekel, und es hat sich ja gezeigt – wenn man alles zusammenfasst –, dass nur der etwas weiß, der nichts weiß.
     
     
    Der Herbst wird intensiver.
    Eine Kette immer kälterer Tage. Immer kürzerer, immer dunklerer. Im Philosophicum stoßen sich die Ideen. Sie werden aufgebrochen, streng geprüft und penetriert. Mill und Bentham. Die Phänomenologie und der Existenzialismus. Die Wiener Schule und die Kausalisten und alles mögliche andere. Die Zügel werden angezogen, da gibt es keinen Zweifel; jetzt geht es darum, alles parat zu haben ... Zielbewusstsein und Energie, keine Mühe darf gescheut werden. Von allen miteinander nicht vereinbaren Begriffsbildungen und Gedankensystemen wird nunmehr ein kunterbuntes Fresko zusammengestellt – gib und nimm und gib erneut! –, denn an diesem Lehrstuhl schwört man nicht auf die eine oder andere Schule. Man nimmt sich alle! Nicht mehr und nicht weniger. Alle!
    Und verliert nicht den Überblick! Vergisst nicht die Ausgangspunkte! Stellt jede Behauptung in Frage, durchleuchtet jedes Postulat, zerpflückt jede Schlussfolgerung ... etwas in gutem Glauben einfach zu schlucken, das wäre die schlimmste aller Sünden! Pfui und weg damit! Akribie, Akribie, Akribie!
    Seine Augen schmerzen. Zum Glück ist er jetzt nicht mehr allein. Er wirft einen Blick zu Tomas hinüber. Der sitzt zurückgelehnt auf seinem Stuhl, eine frisch angezündete Zigarette in der Hand und den Blick in die Ferne gerichtet. Woran denkt er? Hat er es schon verstanden? Ist das möglich? Hat er alles geschluckt und verdaut, bis es begreifbar wurde? Sitzt er nicht da und ist dabei, alles in seinen Zusammenhang zurechtzustochern?
    »Problem mit Konradsen?«
    Er schaut Leon an. Leon nickt.
    »Das liegt an der Wissenschaftsdefinition, die ist ein wenig unbeholfen, das gebe ich zu ...Komm, pack die Bücher zusammen und lass uns rausgehen und einen Happen essen. Wir können es unterwegs diskutieren.«
    Sie brechen auf. Draußen auf der Treppe ist es bereits dunkel. Die schwarzen Fahrräder der Dozenten stehen nicht mehr im Ständer, Leon und Tomas sind wie üblich die Letzten. Thales, die Hauskatze, kommt und streicht um ihre Beine. Sie lassen sie hinein und schließen zweimal nach ihr ab.
    Begeben sich in die Wirklichkeit.
     
     
    In den Ort. Glänzendes Kopfsteinpflaster. Feuchtes Herbstlaub. Knackende Eisschichten.
    Langsam schlendert man durch leere Gassen, auf die stummen Kanäle zu. Referiert und tauscht Standpunkte aus. Induziert und deduziert. Vergleicht Herleitungen. Fasst Argumente zusammen ... rasend schnell und vogelleicht präsentiert man Grund und Gegengrund und kommt zu Schwindel erregenden Schlussfolgerungen und Synthesen. Für Leon Schwindel erregend, für Tomas nicht immer genauso Schwindel erregend. Nichts Neues?
    Als die Regenschauer einsetzen, bleiben sie in einer Toreinfahrt stehen und mühen sich mit Hegel ab. Oder unter den Linden an der Bertrandgracht und verhackstücken De-Quincey.
    Vielleicht gehen sie auch noch weiter über die Eleonorabrücke. Verbringen einige Stunden in den Cafés, jetzt ist es nicht mehr schwer, Leon zu überreden. Man trinkt Dunkelbier und diskutiert. Schreibt ein Manifest. Singt und spielt Schach. Man lebt nur einmal und selten mehr als einen Tag auf einmal.
    Es gibt Frauen. Schöne und begabte junge Frauen, die teilweise vor Leben überzuschäumen scheinen.
    Tomas hält den Taktstock. Leon hat nichts dagegen einzuwenden. Von allein würde er nie auf die Idee kommen, hierher zu gehen. Und Tomas hat eine Art, alles zu

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