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Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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Abertausende gewesen sein mussten, konnte ich sie dennoch alle deutlich voneinander unterscheiden. Nicht die Worte und ihre Botschaften an sich, aber die Quelle – diese einzigartige, individuelle Flut aus Licht. Und deren Tonart, jede einzelne, spezielle Tonart, jeden individuellen Klagelaut und jedes Gebet. Alles zusammen näherte sich schnell und unerbittlich, dieses Surren der Eidechsen, eine Flut aus Licht und unbarmherzigen Geräuschen, die den Raum erodierten. Diese Stimmen, immer lauter, immer aufdringlicher, immer donnernder vor Angst und Leiden.
    So trug es sich zu. Mit einer ständig steigenden Intensität, bei der ich häufig das Gefühl hatte, dass jetzt die Grenze erreicht sein musste, jetzt konnte es nicht näher kommen, nicht noch stärker werden, jetzt musste ich ausgelöscht werden|... und dennoch setzte sich alles in einer unerträglich lang gestreckten Spirale fort, und als die Schwelle endlich überschritten war, hatte ich schon seit langem aufgegeben. Alles. Meinen Auftrag und mein wichtiges Ziel und alles.
    Ich lag unter dem Schweigen begraben.
    Ich lag auf dem Rücken unter dem gewaltigen Schweigen, und als ich die Augen öffnete, sah ich Tomas Borgmanns verhärmtes Gesicht, wie ich es damals gesehen hatte. Mit scharfen Pupillen, den Mund zu einem schmalen, entschlossenen Strich zusammengepresst.
     
 
    Und alles ist so leise, dass ich seine Gedanken hören kann. Als läge ich nicht unter seinem Gesicht, sondern irgendwo in seinem Kopf. Ja, ich drehe mich und rolle weich in einem dunklen, stummen Hohlraum herum, und die Bedeutungen und der Sinn dringen nicht mittels meiner Sinne zu mir, sondern ganz direkt, als wären sie von mir selbst geboren worden und nicht von ihm. Diese Gedanken am Ende des Weges.
    Zum Schluss gibt es nur noch das Schweigen, wie es heißt.
    Jedes Wort, das gesagt und ausgesprochen wurde, hat alle getötet, die nie gesagt wurden.
    Jede Handlung, die ausgeführt wird, vereitelt diejenigen, die stattdessen hätten ausgeführt werden können.
    Allein im Schweigen finden sich alle Worte und Ausdrücke wieder.
    Allein in der Ruhe und im Betrachten leben alle noch denkbaren Handlungen.
    Und dann erhebt Tomas sich und macht sich auf den Weg, fort, in die trostlose Landschaft hinein. Nur ein einziges Mal dreht er den Kopf, um zu sehen, ob ich zurückbleiben will, und mir wird klar, dass ich ihm folgen muss. Er ist bereits weit entfernt, als ich auf die Beine komme, und ich kann mich nicht so schnell wie er über das steinige Gelände fortbewegen, aber dennoch folge ich ihm. Ich habe einen schweren Rucksack zu tragen, und eine große Müdigkeit bedrückt mich, aber ich folge ihm.
    Und viele Türen muss ich öffnen, und lange Treppen führen mich hinab. Es ist merkwürdig, wie viele Treppen es in dieser Landschaft gibt, und dann auch noch so ungemein steile Treppen.
    Aber schließlich bin ich angekommen. Tomas ist verschwunden. Ich stehe in der dünnen Dunkelheit neben einem Bett. Der Mond wirft sein blasses Licht durch einen Spalt zwischen den hellen Gardinen, zeichnet einen Lichtstreif auf einen nackten Arm. Mir wird klar, dass es Marlene ist, die da liegt.
     
 
    In diesem Augenblick wache ich auf, und ich stehe wirklich dort. Ich gerate ins Wanken und falle fast auf sie, kann mich aber am Bettpfosten festhalten. Sie bewegt sich ein wenig, und ich halte den Atem an. Ich kann ihren Kopf nicht vom Kopfkissen unterscheiden, er liegt im Dunkeln, aber ich meine hören zu können, dass sie den Atem anhält.
    Vielleicht. Ich kann unmöglich sagen, ob sie schläft oder wach ist. Ich wage nicht, mich zu bewegen. Stehe vollkommen still und halte mich so krampfhaft am Bettpfosten fest, dass meine Finger langsam einschlafen.
    Lange Zeit stehe ich dort und versuche ihr Gesicht in der Dunkelheit auszumachen.
    Um zu sehen.
    Und dann plötzlich. Aus dieser Schwärze ein Aufblitzen.
    Ein einziges Aufblitzen aus ihren Augen, so dass ich es weiß. Sie sieht mich. Ich bleibe stehen und warte. Ich stehe neben Marlenes Lager nicht einmal eine Armlänge entfernt und warte, ich weiß nicht, auf was. Ich spüre ihren Blick in der Dunkelheit, und das Schweigen zwischen uns ist stark und mächtig.
    Und alles lässt auf sich warten. Der Augenblick tritt aus seinen Ufern. Ich schließe die Augen und versuche mir vorzustellen, wie sie die Hand nach mir ausstreckt, weiß jedoch, dass nichts Derartiges eintreffen wird.
    Dann holt sie plötzlich tief Luft, ein einziges Mal, und mit einem Mal bin ich ganz

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