Die Fliege Und Die Ewigkeit
Nachmittag haben sie in der Bibliothek zugebracht und mit Russell gekämpft. Tomas hat versucht, Frege zu rehabilitieren, aber nicht ernsthaft, nur zum Scherz, als Herausforderung und um das Ganze etwas spannender zu machen, wie Leon vermutet.
Sie haben sich gerade hingesetzt. Worüber sie sprechen, daran kann Leon sich nicht mehr erinnern. Auf jeden Fall werden sie von der kleinen Glocke über der Tür unterbrochen, die läutet. Neue Gäste sind auf dem Weg hinein. Noch ist es früh am Abend, und die meisten Tische sind unbesetzt... sie unterbrechen also ihr Gespräch, aus welchem Grund auch immer, strecken sich ein wenig und werfen einen Blick zur Tür, um zu sehen, wer da wohl hereinkommt.
Zwei junge Damen treten ein – oder besser gesagt, junge Mädchen. Keine von ihnen kann auch nur einen Tag älter als zwanzig sein. Leon ist sich sicher, dass er keine von beiden vorher gesehen hat, spürt jedoch, wie sein Mund trocken wird. Er spült sich mit einem Schluck Weißwein den Gaumen, auch Tomas sitzt schweigend und konzentriert da ... eines der Mädchen, die Dunkle, hat etwas an sich, was dazu führt, dass sie den Faden verlieren, alle Fäden. Hier zu sitzen und sich über irgendetwas zu unterhalten, erscheint mit einem Mal nicht besonders wichtig, und als die Mädchen einen Tisch weiter im Inneren des Lokals gefunden haben, wendet Tomas sich Leon zu.
»Jetzt!«, sagt er, und Leon bemerkt, wie verbissen sein Freund aussieht. Die kleine Ader, die sich manchmal an Tomas’ linker Schläfe zeigt, pocht. »Wir befinden uns an dem Punkt! Sehen wir zu, dass wir uns selbst Gewalt antun!«
Er lächelt dabei nicht einmal.
Dann begeben sie sich zu den beiden Neuankömmlingen, und schnell ist man sich einig. Es ist ja eigentlich nur von Vorteil, zu viert an einem Tisch zu sitzen statt nur zu zweit.
Das blonde Mädchen heißt Marieke, wie sich herausstellt, und sie wohnt nicht in Grothenburg. Sie ist nur für ein paar Tage zu Besuch hier, bei ihrer Cousine, die identisch ist mit dem anderen Mädchen.
Dem dunklen.
Deren Name Marlene ist.
25
DAS TAGEBUCH
Donnerstag
Träumte heute Nacht vom Schweigen. Ein eigenartiger Traum, der mir immer noch nachhängt. Es ist erst Vormittag, ich sitze in der Bibliothek und schreibe. Marlene ist in den Ort gegangen, um wieder etwas zu erledigen, sicher bleibt sie für mehrere Stunden fort. Der Wind weht kräftig vom Meer her, ab und zu kommen Regenschauer. Ich habe im offenen Kamin ein Feuer angezündet, in meinen Schultern und Beinen spüre ich eine schwere Müdigkeit, und meine Augen brennen. Gleich will ich mich auf dem Sofa vor dem Feuer ein wenig ausstrecken, ich will nur vorher den Traum aufschreiben.
Ich befand mich auf einer unendlichen, wüsten Ebene
Sie erstreckte sich so weit, dass der Horizont einen ununterbrochenen Bogen bildete. Nur ein paar vereinzelte, entfernt stehende Bäume zeichneten sich vor einem bleichen, trostlosen Himmel ab. Ich muss schon lange in dieser Landschaft gewandert sein, denn meine Füße taten mir weh und der Rucksack auf meinem Rücken war schwer vor Sorgen. Wohin ich auf dem Weg war und warum, davon hatte ich nicht die geringste Ahnung, ich wusste nur, dass das Ziel wichtig war. Dass es sicher der Mühe wert war.
Deshalb wanderte ich weiter in diesem Unveränderlichen. Ab und zu lagen Knochen und Skelettteile toter Tiere auf dem Boden herum. Das einzige Lebendige, was mir über den Weg lief, das waren die kleinen grünschwarzen Eidechsen, die hin und wieder in Spalten verschwanden und zwischen den Steinen hindurchhuschten. Es waren auch diese schnellen kleinen Tiere, die die ersten Geräusche von sich gaben.
Als ich endlich dieses Klappern bemerkte, diesen leisen, doch durchdringenden, fast metallischen Laut, der in abwechselnd steigenden und fallenden Tonfolgen wie Wellen über die Ebene fegte, blieb ich stehen. Ich lauschte aufmerksam dieser ganz besonderen Musik, dann nahm ich den Rucksack ab und setzte mich auf einen Stein. Bald schien es mir, als wäre das ganze Weltall von dem sonderbaren Gesang der Eidechsen erfüllt, der mir anfangs schön erschien, aber mit der Zeit immer bedrohlicher wurde. Stetig nahm er an Intensität zu. Nach einer Weile, ich hatte inzwischen die Augen geschlossen und meinen Kopf in die Hände gestützt, konnte ich auch Stimmen vernehmen, zuerst leise und weit entfernt, ein Gemurmel menschlicher Stimmen nur, das dann immer stärker und kräftiger wurde, und obwohl es Tausende und
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