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Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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will ... und auf das richtige Pferd zu setzen.
    Tomas greift den Faden wieder auf:
    »Fast eine halbe Stunde saß er so da, ja, die letzten fünf Minuten hat er dann ins Reine geschrieben. Er hat ein neues Papier hervorgeholt und alles noch einmal abgeschrieben... dann hat er die Kladde zusammengeknüllt und ins Feuer geworfen, und dann kam natürlich der entscheidende Moment, der absolut entscheidende: Was würde er mit den Aufgaben tun? Wo würde er sie verwahren? Wenn er sie irgendwo einschloss oder einfach nur mit ihnen im Haus verschwand, ja, dann wären meine Pläne natürlich sofort zunichte ... oder wenn er sie in einen Umschlag legte und diesen zuklebte ... Es dauerte ein paar Minuten, bis ich die Antwort bekam, und es war die vorteilhafteste aller Antworten! Er hob ganz einfach seine Schreibtischunterlage und schob das Papier darunter. Und da liegt es!«
    Er macht eine kleine Pause. Streckt sich und schaut Leon blinzelnd an. »Da liegt es«, wiederholt er.
     
     
    Leon sagt nichts. Er hört das Blut in seinen Schläfen pochen. Er überlegt, wie sonderbar es doch ist, dass man sein eigenes Blut hören kann. Nach einer Weile räuspert Tomas sich und fährt fort.
    »Ich nehme an, er wird es morgen Rinz oder Schenk geben, bevor er abreist ... aber jetzt liegt es da, Leon. Die Examensaufgaben liegen auf dem Schreibtisch und warten auf uns.«
    Sie nehmen einen Schluck vom Wein. Tomas zündet sich erneut eine Zigarette an. Sicher hat er schon ein halbes Päckchen geraucht, seit er gekommen ist. Sie sitzen da, und bald spürt Leon, dass er den Blick nicht so weit heben will, dass er Gefahr läuft, Tomas’ Blick zu begegnen ... und in seinem Gehirn rührt sich nichts. Absolut nichts. Sein Gewissen ist leer wie das eines tot geborenen Kindes, aber dann kommt etwas, ein paar Worte tauchen von irgendwoher auf, er weiß nicht, woher ...
     
    es sei denn, wie man vermuten mag, dass alles Teil eines höheren Plans ist, eingefügt in eine Art göttlicher Vorhersehung ...
     
    Auf eine unterbewusste Art und Weise erkennt er sie doch wieder. Er schüttelt den Kopf. Woher stammen sie?
    »Willst du im Herbst weitermachen?«, fragt Tomas plötzlich. »Willst du ein Stipendium für vier Jahre haben? Oder gehst du lieber aufs Land und fängst an zu arbeiten?« Er schaut auf die Uhr. »Wir haben zwei Stunden Zeit. Um neun Uhr wird er das Haus verlassen.«
    »Das Haus verlassen? Woher wissen wir das?«
    Leon zuckt zusammen. Wieso hat er das Pronomen wir benutzt? Was hat das zu bedeuten? Ist er bereits einverstanden? Hat er das Unerhörte akzeptiert, ohne davon zu wissen?
    »Eulenspiegel! Er verbringt jeden Abend eineinhalb Stunden im Café Eulenspiegel ... zwischen neun und halb elf. Das hat er seit mehr als zwanzig Jahren jeden Abend gemacht... wenn er nicht verreist ist, natürlich. Er geht nach den Einundzwanzig-Uhr-Nachrichten im Radio und kommt fünf Minuten nach halb elf zurück.«
    »Woher weißt du das?« Das Pronomen ist ausgetauscht worden.
    »Marlene hat es mir erzählt.«
    Natürlich. Leon spürt eine Art kalte Wut darüber, er fragt sich, ob Tomas es merkt. Er erwidert dessen Blick immer noch nicht. Eine Weile sitzen sie schweigend da, trinken aus ihren Gläsern und schenken nach.
    »Und wo befinden sich Marlene und Frau Hockstein heute Abend? Du hast gesagt, dass das Haus leer ist.«
    »In der Oper in Beuden. Zusammen mit der Tante und der Cousine Marieke, ja, die kennst du ja auch. Sie werden nicht vor ein Uhr zurück sein ... sie sehen den Ring.«
    »Ach so.«
    »Da ist eine Sache, Leon.«
    »Was?«
    »Eine Sache. Wir können uns entscheiden, zu handeln oder es sein zu lassen.«
    »Wir würden auch so klar kommen.«
    »Klar kommen! Natürlich würden wir klar kommen. Rede keinen Quatsch, Leon, ich bitte dich. Du weißt ebenso gut wie ich, worum es geht!«
    Leon schweigt erneut. Er holt ein paar Mal tief Luft und versucht sich zu konzentrieren. Als er sein Glas hebt, merkt er, dass er ein wenig zittert. Er schaut wieder auf den Schreibtisch ... Bevor Tomas aufgetaucht ist, hat er noch eine Stunde über den Büchern sitzen können, aber es scheint, als ... ja, er weiß nicht, wie der Sand ins Getriebe kommen konnte. Ob es Unfähigkeit ist oder einfach nur Müdigkeit oder die Gedanken an Marlene. Natürlich stimmt es, was Tomas sagt, sie haben genug Wissen, um eins ums andere Mal beide durch die Prüfung zu kommen, aber darum geht es nicht. Hier bleiben oder fortgehen, das ist die Frage! Vielleicht in

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