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Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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dann ...«
    »Was hat das Letzte zu bedeuten?«
    »Was?«
    »Na, das Letzte! Das hat doch etwas zu bedeuten ... Sag mir, was es zu bedeuten hat, Leon!«
    Doch die Aufforderung ist rein rhetorisch. Wie üblich erwartet er keine Hilfe von Leons Seite, es scheint, als wäre er selbst der Lösung nahe. Bereits lange bevor Leon überhaupt begriffen hat, worum es bei der Fragestellung geht, das ist typisch ... äußerst typisch. Er hat seinen Freund schon mehr als einmal in diesem Zustand gesehen. Er weiß, dass es jeden Augenblick kommen kann, was auch immer. Tomas Borgmann hat jetzt seinen Stift hingelegt. Er reibt sich die Schläfen und starrt auf die Tischplatte.
    »Ein Scherz«, versucht es Leon. »Das war nur ein Scherz, Tomas.«
    »Das ist es!«, unterbricht ihn Tomas, ohne sich überhaupt um den Einwand zu kümmern. »Na klar, genau so ist es. Ich bin ein Idiot gewesen, Leon!«
    Er klappt seinen Notizblock zu, stopft ihn in die Tasche und steht auf. Leon schweigt.
    »Natürlich ist es genau so! Bist du in ein paar Stunden zu Hause?«
    »Ja, ich weiß nicht ... schon möglich.«
    »Versprich mir, dass du es bist! Es ist ... es ist von äußerster Bedeutung!«
    »Ja ...?«
    Und damit verschwindet Tomas Borgmann ebenso schnell wie der Professor vor einigen Augenblicken. Leon bleibt noch einige Sekunden lang zurück, dann spürt er plötzlich die ersten Wellen eines herannahenden Kopfschmerzes, und er beschließt, schnell nach Hause zu gehen, bevor dieser voll ausbricht.
     

28
     
    DAS TAGEBUCH
     
     
 
    Donnerstag Abend
    Sie erinnert sich an Chez Hugo und das Konzert!
    Als ich erzählte, konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen, gleichzeitig froh und verlegen, und es war wie ein Ausflug zurück in der Zeit. Vielleicht vereinfachte es die Sache, dass wir ziemlich viel Wein getrunken hatten, sie hatte mich tatsächlich beim Wort genommen und war am Nachmittag aus B-e mit einem ganzen Karton zurückgekommen.
    Schließlich hatte sie auch angefangen über ihre Beziehung zu berichten, zwar nicht sehr viel, aber ich ahne zumindest inzwischen, dass es dort nicht so viel zu berichten gibt. Vielleicht erscheint ihr ja nach Tomas’ Tod alles mehr oder weniger unbegreiflich. Fremd und unsicher, wie ich mir denken kann.
    Wie es eines Tages für uns alle erscheinen muss. Eines Tages begreifen wir plötzlich unser Leben nicht mehr, und das ist natürlich ziemlich unangenehm für denjenigen, der darauf nicht vorbereitet ist.
    »Er hat gearbeitet«, sagte sie. »Das fasst es wohl am besten zusammen. Er hat von morgens bis abends gearbeitet. Unter der Woche wie am Wochenende. Das war sein Leben, er war von seiner Arbeit besessen, das kann man wohl sagen, aber ich weiß natürlich nicht, ob es nicht auch eine Art Flucht war.«
    »Besessen von seinem Leben?«, fragte ich. »Wenn doch die Arbeit sein Leben war, meine ich ...?«
    »Ja, das müssen wir wohl alle in irgendeiner Form sein, aber Tomas mochte sie nicht ... die Arbeit, meine ich. Das war nur eine Droge, denke ich, die er eigentlich loswerden wollte, von der er sich jedoch nicht befreien konnte. Sie hielt ihn am Leben, und vielleicht gab es ja nichts anderes für ihn.«
    »Aber er hat doch damit aufgehört.«
    »Ja, und dann war er nicht mehr am Leben.«
    Sie verstummte und schien zu zögern. Ich stand auf und schürte das Feuer. Die Vergangenheit bekam ihn zu packen, dachte ich. Er muss in all diesen Jahren wie ein Wahnsinniger herumgerannt sein. Das Alte ihm dicht auf den Fersen, bereit zuzuschnappen, sobald er nur Halt machte – wie eine Art verwirrter Faustgestalt, welche Hölle! Aber welche Kraft und Ausdauer gleichzeitig, und wenn man bedenkt, dass er sein gesamtes Genie für so etwas verwandte! Dabei zum Scheitern verdammt.
    Ich füllte unsere Gläser.
    »Ich habe ihn nicht gekannt, Leon. In den letzten Jahren hier draußen ist mir klar geworden, dass ich ihn nie wirklich gekannt habe. Ich habe ihm das gesagt, und zunächst hat er nichts darauf erwidert, nur mit den Schultern gezuckt. Zuerst dachte ich, dass er der Meinung wäre, es sei typisch Frau, was ich da von mir gegeben hatte, ein Modestandpunkt, aber dann erklärte er, dass es uns allen so ginge.«
    »Wie das?«
    »Gewisse Menschen seien tüchtig darin, sich dem anderen gegenüber zu verhalten, wie er sagte. Genau mit diesen Worten. Es sieht so aus, als wüsste der eine, wo er den anderen stehen hat, aber das stimmt nicht. Das ist nur eine Konvention, der Wunsch, eine Fiktion, einen Mythos

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