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Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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ziehen.
    »Ich habe mir ein Bild gemacht«, sagt er. »Ein Bild, das ich anschließend zerstört habe. Zerstört und gleichzeitig fixiert. Was es tatsächlich darstellte, ob es etwas ähnlich sah, das lässt sich nicht sagen. Das Wichtige ist, sich überhaupt ein Bild zu machen, aber es gibt natürlich keine richtigen Bilder, nur solche, die wir gelten lassen ... solche, die wir mit der Zeit akzeptieren, weil es in unserer Natur liegt, zu akzeptieren und einzuordnen. Ebenso unmöglich ist es uns, mit dem Chaos oder dem Unmöglichen zu leben. Für mich spielt der tiefere Sinn keine so große Rolle, das Wichtige war, dass ich niemals betrogen habe, niemals jemanden im Stich gelassen habe ... immer unserer Vereinbarung treu geblieben bin.«
    Das klingt merkwürdig, was er da sagt, das merkt er selbst. Es ist das erste Mal, dass er versucht, es für eine andere Person in Worte zu kleiden, außerdem ist er etwas beschwipst vom Wein, und es sind die absolut falschen Worte. Schlecht gewählt und unpassend, als hätte er von Anfang an die falschen Saiten angeschlagen ... ganz gewiss hat er das hier nicht sagen wollen.
    »Ich verstehe.«
    »Nicht um seinet- oder um unseretwillen, sondern nur um meiner selbst willen«, fährt er dennoch fort. »Es ist nicht zu leugnen, eine derartige Handlung ist nicht anders zu beurteilen, man muss sie in dem Licht sehen, das es damals gab. Es kann im Nachhinein nichts hinzugefügt oder abgezogen werden. Und dennoch habe ich vorausgesetzt... ja, ich war mir so sicher, dass wir uns wirklich auf gleicher Basis befanden, und ich habe mir das auch anschließend eingebildet. Erst jetzt habe ich erfahren, dass dem nicht so war. Das Gespräch ... das Schweigen und ... das hier.«
    Er legt die Würfel auf den Tisch.
    »Was ist das?«
    »Versuche es einmal! Bitte schön!«
    Sie schaut ihn verständnislos an, nimmt sie aber dennoch in die Hand. Schüttelt sie ein paar Mal und lässt sie dann auf den Tisch rollen.
    Eine Eins und eine Sechs.
    »Ja, und?«
    »Versuch es noch einmal!«
    Sie lächelt unsicher und sieht ihn zweifelnd an. Als wäre sie einem Scherz oder einem Trick ausgesetzt, den sie nicht durchschauen kann und der sie ärgert.
    »Noch einmal!«
    Jetzt befiehlt er, und sie gehorcht. Sie würfelt.
    Wieder eine Eins und eine Sechs. Die schwarze Sechs, die weiße Eins. Er nimmt die Würfel wieder an sich.
    »Stell dir vor«, sagt er, und jetzt fallen die Worte genau, wie er es wünscht. »Stell dir vor, du stehst dort an diesem Abend vor dreißig Jahren! Es regnet, aber nicht so wie jetzt, es ist ein feiner Regen, der dich eher einhüllt als ausschließt. Der euch vereint. Und er wischt den blauen Holzdeckel mit dem Mantelärmel ab und sagt: ›Dann würfeln wir!‹ Und er gibt dir einen Würfel. ›Der niedrigste Wurf macht es!‹ Und du würfelst eine Eins und er würfelt eine Sechs, und du akzeptierst diese Entscheidung des Schicksals, und du denkst an das, was ihr in der letzten Stunde zusammen entschieden habt ... nie wart ihr euch näher, nie hast du irgendeinem anderen Menschen näher gestanden, nie haben zwei Menschen auf einer schärferen Messerschneide gestanden; und ganz tief in all dem, in diesen schweren, selbstverständlichen Schlussfolgerungen: Nie ist etwas logischer gewesen. Wenn es zum Teufel geht, dann ist es besser, wenn einer übrig bleibt ... besser, wenn Tomas Borgmann davonkommt. Oder Leon Delmas. Denn es könnte ebenso gut ich gewesen sein, und weil dem so ist, lebst du in einem unerklärlichen Sinne durch ihn weiter, genau wie er es durch dich getan hätte, wenn es umgekehrt gewesen wäre. Du glaubst, dass ihr tatsächlich euer Schicksal in die Hände des Zufalls gelegt habt, dass es genauso gut der eine wie der andere hätte sein können. Dass es ebenso gut er hätte sein können! Es ist das erste und einzige Mal, dass du auf dein eigenes jämmerliches Fliegenleben eine Art Philosophie anwendest, und das gibt dir Kraft. Kraft, all diese verfluchten Gefängnisjahre zu ertragen, diese verfluchte Sinnlosigkeit, Leere und Aushöhlung. Dieser Gedanke lässt dich niemals los, diese Vereinbarung, dreißig Jahre lang hältst du an ihr fest, und dann entdeckst du ... das Triviale.«
    Er würfelt.
    »Sieh nur! Wieder eine Eins und eine Sechs! So herrlich ausgedacht! Dass es jedes Mal wieder funktioniert ... welchen Nutzen könnte man nicht daraus ziehen, wenn man nur ...«
    »Schweig, Leon!«
    Ihr Gesicht ist kreidebleich, obwohl sich sowohl das Feuer als auch der

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