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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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paar Wortfetzen hören, die aus ihrem Zimmer drangen, aber er verstand trotzdem, dass die alte Dame gerade ein brisantes Geständnis ablegte.
    Also wartete er und lauschte. Schließlich war er Journalist.  
     
    „ Du hast also Visionen?“
    Dr. Albers hatte sich auf dem Stuhl vorgebeugt. Er stützte die Ellenbogen auf seine Knie, lehnte das Kinn auf die ineinander verschränkten Hände und blickte Minnie ernsthaft an. „Was für Visionen?“
    „In den letzten Wochen habe ich jemanden in Haus Holle gesehen, von dem ich nicht weiß, ob er existiert“, gestand die alte Dame. „Zumindest dachte ich, es wäre ein Greis. Inzwischen jedoch hatte ich die Zeit, ihn mir genauer anzusehen, und weiß nun, dass er den Körper eines Kindes hat.“
    „Ein Progerie-Kranker?“, hakte Andreas nach.
    Minnie blickte ihn fragend an.
    „Progerie-Kranke haben einen Gen-Defekt, der sie schon in jungen Jahren altern lässt“, erklärte der Psychologe. „Ihr Körper bleibt kindlich, doch ihr Kopf sieht aus wie der eines Greises. Aber natürlich bleiben Progerie-Kranke geistig auf dem Niveau eines Kindes.“
    „Schwer zu beantworten, ob es sich darum handelt“, erwiderte Minnie. „Am Anfang konnte ich immer nur einen kurzen Blick auf ihn erhaschen – zum Beispiel im Flur oder vor Haus Holle. Inzwischen jedoch“, sie holte tief Luft, „ist er mir dreimal in meinen Träumen begegnet. Einmal haben wir im Traum sogar zusammen getanzt. Er sieht so schaurig aus.“
    „Mmmmhm,“ meinte Dr. Albers.
    „Ich bin mir nicht sicher, ob ich Gespenster sehe oder ob mein Geist so verwirrt ist, dass echte Menschen mich bis in den Schlaf verfolgen. Das Ganze ist so unheimlich!“
    „Natürlich kann Morphium den Geist vernebeln“, erklärte der Psychologe. „Andererseits haben viele Menschen Visionen. Marisabel Prinz sieht immer einen Engel.“
    „Ein Engel ist auch in meinem Traum aufgetaucht“, entgegnete Minnie erstaunt. „Darin tanzte Frau Prinz mit einem Engel, während ich in den Armen des Kindgreises lag. Anschließend wechselten wir die Tanzpartner. Kann dieser Traum dadurch hervorgerufen worden sein, dass mir Marisabel schon mal von ihrem Engel erzählt hat?“
    „Ja“, antwortete Andreas. „Höchstwahrscheinlich liegt es daran. Ängstigen Dich Deine Träume?“
    „Nein“, erwiderte Minnie. „Durch den Traumtanz hat mir der Kindgreis bewiesen, dass ich sicher bin in seinen Armen. Aber wenn ich ihn in der Realität sehe, jagt er mir jedes Mal eine Heidenangst ein. Er huscht manchmal durch die Flure!“
    „Klingt, als wäre er ein Symbol für den Tod“, überlegte Andreas. „Aus meiner Perspektive hört sich das Ganze so an, als käme der Tod näher und näher. Bestimmt ist es nur eine Vision! Du kannst Dich ganz beruhigt entspannen. Bei dem komischen Greis handelt es sich um eine versinnbildlichte Idee, die Dein Geist verarbeitet. Inwiefern beschäftigst Du Dich mit dem Sterben?“
    „In den letzten Wochen habe ich kaum noch darüber nachgedacht“, gestand Minnie. „Es sind zwar einige Menschen gestorben, aber ich fühle mich tipp topp. Haus Holle gefällt mir. Ich vergesse immer öfter, warum ich hier bin.“
    „Gut“, erwiderte der Psychologe. „Jetzt musst Du nur noch eine Sache verinnerlichen.“
    „Welche?“
    „Dass es nicht notwendig ist, ständig ins Krankenhaus zu gehen. Du kannst den Dingen ihren natürlichen Lauf lassen.“
    „Aber ich habe noch Dinge zu erledigen! Zum Beispiel meine Rückführung. Und dann noch…“
    „Weihnachten?“, fragte Dr. Albers. „Das verstehe ich sehr gut.“
     
    Der Lauscher vor der Tür fühlte, dass der richtige Zeitpunkt zum Eintreten gekommen war. Er klopfte an Minnies Tür, und die alte Dame bat ihn herein. Zeitgleich blickten sie und Dr. Albers den Journalisten an.
    Mike bemerkte sofort, dass seine Mutter nicht übertrieben hatte. Minnie sah tatsächlich gut aus. Sie wirkte frisch und braungebrannt.
    Oder?
    Nein, er täuschte sich. Minnies Gesicht war gelber geworden.
    Kaum hatte sich Dr. Albers verabschiedet, ergriff der Journalist das Wort.
    „Sie haben Visionen? Und Sie haben eine gruselige Gestalt gesehen? Etwa den Mann von der Parkbank? Warum haben Sie mir nichts davon erzählt? Vielleicht ist er gefährlich!“
    Minnie konterte mit einer Gegenfrage.
    „Sie haben gelauscht?“
    Mike grinste.
    Doch Minnie fand das gar nicht witzig. „Wie können Sie ein Gespräch belauschen, das intim ist?“
    „Entschuldigung“, erwiderte Mike. „Ich glaube, ich habe

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