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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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Depressionen, die sich jedoch mehr oder weniger gut behandeln lassen. Ich persönlich glaube, dass unsere Zufriedenheit oder Unzufriedenheit auch von unserem eigenen Selbstrespekt abhängt. Wer schlimme Dinge tut, kann sich im tiefsten Inneren nicht selbst wertschätzen – und interpretiert jeden Schicksalsschlag unbewusst als verdiente Strafe. In Wirklichkeit jedoch gibt es weder Schicksal noch Zufall. Beides sind Erfindungen. Den Menschen kann täglich alles zustoßen. Alles, was passiert, ist die Folge unserer Handlungen. Kein Schicksal!“
    „Ich war immer derselbe Mensch wie heute“, sagte Adolf. „Ich nehme meine Krankheit an. Aber es würde mir wesentlich leichter fallen, wenn ich nicht von meiner Frau getrennt wäre – und sie gesund wäre. Wie soll ich damit klar kommen?“
    „Indem Sie sich vor Augen führen, dass Sie ein Dach über dem Kopf haben, keine Schmerzen erleiden und jeden Tag genießen können“, antwortete Mike. „Wenn Sie in der Steinzeit gelebt hätten, wären Ihre Ohren in Ihrem Alter längst verstopft, Ihre Zähne verfault und Sie litten unter Läusen. Hier in Haus Holle haben Sie elektrisches Licht, Frieden und das leckerste Essen.“
    Zweifelnd sah ihn der Kranke an.
    Mike spürte, dass Montrésor einen letzten Gedankenschubs brauchte.
    „Adolf, hören Sie mir zu. Man kann jemandem, dem das Leben eher dunkel als hell erscheint, die Existenz nicht schön reden – zumindest nicht als Laie. Aber Sie müssen glauben, dass alles gut wird. Waren es nicht Sie, der mal gesagt hat, das wir irgendwann alle ins Gras beißen müssen?“
    Der Ex-Manager nickte und fasste einen Entschluss. „Ich glaube, heute Abend werde ich einfach mal die Puppen tanzen lassen – und in eine Kneipe gehen. Sie haben mich überzeugt.“
     
    Bella Schiffer machte sich schön.
    Trotz eines Infekts, der sie seit Tagen ans Bett fesselte, lagen Schminke, Fön und Haarspray griffbereit auf ihrem Nachttisch. Jedes Mal, wenn sie erwachte, blickte sie als erstes in den Spiegel, um befriedigt festzustellen, dass sie so gut aussah wie immer.
    Es klopfte.
    „Herein“, rief die Kranke.
    Im nächsten Moment bereute sie das. Es war schon wieder der Journalist. „Na, wie geht’s?“, fragte sie mürrisch. „Ich habe gerade geschlafen…“
    „Entschuldigen Sie die Störung – ich soll Sie von Frau Prinz grüßen. Marisabel vermisst Sie sehr bei Tisch!“
    „Die hat mich doch immer gedisst. Nicht zu fassen! Deshalb sind Sie zu mir gekommen?“
    Bella setzte sich im Bett auf. „Erzählen Sie mir mal, was im Haus los ist! Rauchen Sie eine Zigarette mit mir.“
    Mike betrachtete die Kranke. Zweifelsohne, Bella war schön.
    „Wer betet hier eigentlich manchmal so leise?“, fragte sie.
    „Das ist ein Priester“, antwortete Mike. „Er ist erst seit ein paar Tagen hier.“
    Bellas Interesse war längst weitergewandert zu ihrem Infekt. „Liegen die anderen auch flach?“
    „Annette hat es ziemlich übel erwischt“, sagte Mike. „Und Omi schläft den ganzen Tag.“
    „Tatsächlich? Annette hat sich noch nicht berappelt? Ich würde sie zu gerne besuchen. Aber ich bin selbst ziemlich müde. Sogar zum Putzen fehlt mir die Kraft. Der Winter steckt mir in den Knochen.“ Sie steckte sich eine neue Zigarette an. „Und Sonja?“
    „Lebt“, erwiderte Mike. „Aber um sie steht es nicht gut.“
    „Das war doch schon vor Wochen so!“ Bella war aufgebracht. „Während unsereins in kürzester Zeit abbaut, und Menschen wie Otto Klatsch innerhalb eines einzigen Tages sterben, lebt und lebt und lebt diese krumme Sonja. Selbst Infekte machen ihr nichts aus. Mich hingegen wird mein Infekt bestimmt bald dahinraffen, schließlich habe ich meine Prognose schon um einige Tage überlebt. Das macht mir Sorgen!“
    „Naja“, meinte Mike. „Ich habe Gäste kennengelernt, die ein schlechtes Gewissen haben, weil sie seit vielen Wochen in Haus Holle leben und ihre Mitbewohner wie die Fliegen sterben sehen. Mit dem Tod lässt sich nicht planen. Manchmal kommt er langsam, dann wieder plötzlich! Denken Sie nur an den Straßenverkehr… Bamm – ein Mensch wird überfahren, wenn ihn ein Autofahrer wie Mutter Merkel erwischt…“
    „Richtig“, empörte sich Bella. „Andauernd knallt sie gegen den Poller!“
    „Gab’s mal Ärger mit ihr und den Knopinskis?“
    „Mehrfach“, rief Bella. „Ihr Zwist legte sich erst kurz vor dem Tod des alten Ehepaars. In den Tagen zuvor haben Mutter Merkel und Knut Knopinski fast jeden Tag bei

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