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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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durch einen Freitod erlöst zu werden, Jeremy?“
    „Das nicht“, gab der Bruder zerknirscht zu. „Aber ich weiß genau, was er will…“
    Plötzlich war ein leises Flüstern zu hören. „Ich will leben, Jeremy…“ Jesse Zimmermann hatte seinen Willen geäußert.
    „Aber das ist kein Leben!“ Jeremy war außer sich. „Du vegetierst hier vor Dich hin. Sieh Dich an – Du kannst kaum noch sprechen. Von Tag zu Tag wirst Du schwächer. Ich ertrage das nicht mehr!“
    „Deshalb willst Du Sterbehilfe leisten?“ In Joanna Zimmermanns Stimme fehlte jegliches Mitleid. „Du bist derart egoistisch! Weil Du nicht erträgst, was mit Jesse passiert, soll er sterben? Du benimmst Dich, als wärst Du Gott!“
    Minnie nahm an, dass der Hospizleiter in diesem Moment nach Andreas  Albers gerufen hatte, denn der Psychologe erschien mit hochrotem Kopf.
    Er nickte Minnie nur kurz zu, betrat Zimmer 5 im Eiltempo und schloss die Tür sofort hinter sich.
    Jeremy heulte laut auf. „Sie will ihn quälen, weil sie jetzt stärker ist als er – und er mich immer bevorzugt hat“, stieß er hervor. „Was sie macht, ist pure Rache!“
    „Langsam, Herr Zimmermann“, beschwichtigte Andreas. „Hier geht es um etwas anderes – um den Willen Ihres Bruders. Wenn wir wirklich wissen wollen, was das Richtige ist, müssen wir Jesse selbst fragen!“
    Der Psychologe wandte sich dem Kranken zu. „Möchten Sie mit Ihrem Bruder gehen?“, fragte Dr. Albers den Kranken.
    „Nein“, flüsterte Jesse. „Ich will nur eines – und das ist leben.“
    „Da hörst Du es“, polterte Joanna.
    „Jeremy, Joanna, Ich möchte Sie beide an eines erinnern“, sagte Dr. Albers ernst. „Hier drinnen geht es nicht um Sie, sondern allein um das Wohlbefinden von Jesse. Wenn Sie sich nicht versöhnen können, muss Haus Holle das akzeptieren. Aber Jesse schadet Ihr Streit. Sofern er sich dafür entscheidet, dass einer von Ihnen nicht mehr kommen soll, verhängen wir ein Hausverbot.“
    Er richtete das Wort an Jesse: „Müssen wir so weit gehen?“
    Einen Moment lang schwieg der junge Förster. Dann war seine Stimme zu hören. „Ich möchte, dass beide bleiben und dass sie sich endlich vertragen.“
    Minnie hörte leises Murmeln. Anscheinend stimmten die Zimmermanns zu.
    Als die Streithähne draußen waren, giftete Jeremy Joanna erneut an. „Das werde ich Dir nie verzeihen. Du hast Jesse überredet, sich mit dem Sterben zu arrangieren. Ich hoffe, dass Du noch ruhig schlafen kannst.“
    Seine Schwester schwieg. An ihrer Halsschlagader konnte Minnie erkennen, dass Joannas Körper in Aufruhr war, denn sie pochte so schnell wie ein Schlaghammer. „Jeremy“, sagte Joanna leise. „Wir dürfen Jesse nicht töten. Es stimmt, dass ich mich außen vor fühlte, und Euch immer beneidet habe. Aber mein Gewissen würde es nicht verkraften, wenn wir unseren Bruder umbringen. Ich liebe Dich so sehr wie ihn. Für Dich würde ich dasselbe tun. Ich würde Dich mit aller Kraft beschützen.“
    Entgeistert sah ihr Bruder sie an.
    Er brach zusammen, fiel seiner Schwester um den Hals und heulte Rotz und Wasser, bis seine Tränen versiegten wie ein Brunnen, der kurz vorm Überlaufen gewesen war.
     
    Herbert Powelz hielt einen Stein fest.
    „Was hast Du da?“, fragte sein Sohn.
    Der Kranke lächelte und drückte Mike ein Geschenk seiner Nachbarn in die Hand. Es war ein Kieselstein mit der Aufschrift Glück .
    „Papa glaubt, dass ihm dieses Geschenk Kraft gibt“, verriet Anne. Sie hatte wenig geschlafen. Ihr Gesicht war völlig zerknautscht. „Wie gut ihm die gestrige Fußmassage getan hat“, sagte sie leise. „Der dünne Dietmar durfte ihm sogar die Fußnägel schneiden, obwohl Papa früher niemals jemanden an seine Füße gelassen hatte.“
    Liebevoll legte sie ein feuchtes Tuch auf Herberts Stirn und benetzte die trockenen Lippen ihres Mannes. Herbert trug einen dunkelblauen Schlafanzug, unter dem sich sein Schlüsselbein allzu deutlich abzeichnete.
    Mit dem gesunden Auge fixierte er Sohn und Gattin, während das kranke schlaff hinunter hing. Plötzlich hustete er.
    „Der übliche Schleim“, dachte Mike, und hielt seinem Vater eine Schüssel unter den Mund. Seit Tagen würgte sein Vater immer öfter eine übel riechende, zähe Schleimflüssigkeit aus, die sich wie Kaugummi aus dem Mund ziehen ließ.
    Diesmal war das anders.
    Herbert hustete fünf Minuten. Er fand kein Ende. Immer stärker rang er nach Atem. Wie gelähmt wurden seine Frau und sein Sohn zu Zeugen

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