Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.
den zweiten Stock konzentrierte?“
„Ganz einfach“, antwortete Minnie. „Erstens rief er Nadine Nisse in jener Nacht pausenlos an, ohne ein Wort zu sagen. Er wollte sie aufwecken. Als sie hellwach war, rief sie nach den Pflegern, um sich zu beschweren. Außerdem hatte der gerissene Täter eine mit Drogen gefüllte Spritze auf Nadines Bettdecke gelegt. Das Rauschmittel würde Nadine in Plauderlaune bringen. Er rechnete eiskalt damit, dass die Obdachlose nicht widerstehen konnte. Um auf Nummer sicher zu gehen, manipulierte er zusätzlich Cristiano. Der Mörder hatte den jungen Mann zuvor ermuntert, in dieser Nacht mit den Pflegern zu sprechen. Folglich hielten die beiden Gäste die Nachtschicht unentwegt auf Trab. Währenddessen konnte der Täter den Doppelmord ungestört im ersten Stock begehen.“
„Wie denn?“
„Ganz einfach! Er musste nur am Wegesende warten, bis der Mercedes von Knut Knopinski in die Einfahrt vor dem Haus einbog. Dort fing er den alten Mann ab und injizierte ihm direkt nach dem Aussteigen aus dem Wagen eine Überdosis Tavor, über dessen Verschwinden sich Dietmar und Hendrik zu Beginn der Nachtschicht gewundert hatten. Als Knopinski wehrlos war, rollte ihn der Täter in einem Rollstuhl zu Zimmer 2. Dort nahm er das Mörderfoto an sich und ermordete Gertrud Knopinski, die er direkt nach dem Abendessen mit Tavor in einen Tiefschlaf versetzt hatte. Anschließend ging der Mörder ins Bad. Dort wurde sein Schatten von Marisabel Prinz gesehen, die kurz zuvor von einem Türknall geweckt worden war, für den entweder Annette beim Betreten des Hauses oder Bella Schiffers Ex-Liebhaber beim Verlassen des Hospizes verantwortlich gewesen waren.“
„Marisabel Prinz sah den Täter?“
„Ja – aber die Hundezüchterin erkannte ihn nicht. Kurz vor ihrem Tod gab sie zu Protokoll, dass sie in der Mordnacht einen Engel gesehen hatte. Mike hat ihr ein Foto des Täters gezeigt und sie hat ihn identifiziert.“
„Ein Todesengel also“, bilanzierte der Besucher. „Aber was sollen die anderen drei Morde gewesen sein, von denen Du gesprochen hast?“
„Der dritte Mord war nur schwer als Mord zu erkennen“, erklärte Minnie. „Tatsächlich jedoch war der plötzliche Erstickungstod von Professor Pellenhorn kein natürlicher Tod. In der Nacht, als die Knopinskis starben, blickte Pellenhorn von seinem Bett aus dem Fenster und sah, wie der Mörder Knopinski abfing. Das Pech des Professors war, dass er erst Tage später verstand, dass er einen Mord beobachtet hatte. Höchstwahrscheinlich hat er zuerst geglaubt, dass der Mörder Knopinski lediglich in einen Rollstuhl geholfen hat. Kurz darauf erkannte er die Wahrheit. Leider jedoch konnte er sie niemandem mehr mitteilen, weil er nicht mehr sprechen konnte. Das deprimierte und verängstige ihn, und er weinte immer öfter. Ständig rief er Auuuuuu . Zuerst glaubte ich, dass Professor Pellenhorn unter Schmerzen litt. Tatsächlich jedoch war das Auuu eine Anspielung auf Mutter Merkels Golf, der Knopinskis Mercedes früher immer zugeparkt hatte. Professor Pellenhorn wollte uns darauf hinweisen, dass die Autos am Morgen nach der Mordnacht ihre Positionen vertauscht hatten. Du musst Dir das Ganze so vorstellen: Zum ersten Mal seit vielen Wochen war Knopinskis Mercedes nicht mehr zugeparkt gewesen. Angie hat ausgesagt, dass Mutter Merkel ihren Golf am Abend vor der Mordnacht beim Rückwärtsausparken vor den Poller gesetzt hatte. Das wiederum bedeutet, dass Knopinski am Tag vor seinem Tod nicht in Haus Holle gewesen war, wie uns die um die Sicherheit ihres Mannes besorgte Gertrud hatte glauben lassen wollen.“
„Aber warum musste der Mörder Pellenhorn töten, wenn der alte Mann nicht mehr sprechen konnte?“, fragte die Stimme.
„Weil der Professor einen Sprachcomputer erhalten sollte“, antwortete Minnie leise. „Das war ein großes Risiko für den Täter. Folglich musste er schnell handeln. Er wickelte ein Stück Parmesankäse in jenen Salat, den Kostja für Professor Pellenhorn vorbereitet hatte. Doch auch dabei wurde der Täter beobachtet – von Adolf Montrésor!“
„Also hatte der Täter zweimal Pech?“, fragte die Stimme.
„Ja“, meinte Minnie bedauernd. „Aber auch Glück! Adolf Montrésor erinnerte sich erst am Heiligen Abend daran, dass er am Nachmittag vor Pellenhorns Tod eine Person gesehen hatte, die sich an Kostjas Speisen zu schaffen gemacht hatte und die nichts in der Küche zu suchen hatte. Er wollte mir davon erzählen, und
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