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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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Haare gewesen. „Hi-hi“, sagte Hildegard. „Das war meine Sonja damals. „Warum passiert meiner Familie das bloß? Kann mir das vielleicht mal jemand sagen? Ich wüsste es wirklich gern.“
    „Du hältst Dich tapfer“, antwortete Mike. „Ich habe gehört, dass Du schon einen ganz schönen Streifen mitgemacht hast.“
    „Das kann man wohl laut sagen!“ Die Stimme der kugeligen, kleinen Dame polterte durchs Zimmer.
    Sonja wurde sofort wach, und röchelte laut. Sofort war Hildegard an ihrer Seite. „Was ist, mein Mädchen?“ Sie rückte zwei Teddys zurecht, platzierte drei Puppen über dem Kopf ihrer Tochter und warf einen Blick auf den Aschenbecher. „Möchtest Du eine Zigarette, Sonja?“ Ihre Tochter stöhnte nur. „Hach ja…“, sagte Hildegard und lachte perlend. „Willst Du wissen, wer das alles auf den Fotos ist?
    „Unbedingt“, antwortete Mike.
    So zeigte ihm die alte Dame Bilder ihres zweiten Manns, der im Bad umgefallen war, ihres Sohn, der an Lungenkrebs verstorben war, ihres ersten Manns, der ihr während des Italienurlaubs genommen worden war und eine Ultraschallaufnahme von Sonjas tot geborenem Baby. 
    Hildegard begann mit einer Geschichte, die Mike schon einmal gehört hatte. „Glaubst Du, dass ich auch nur einen einzigen von ihnen noch einmal gesehen hätte, nachdem sie gestorben waren? Ne-hein, die Ärzte haben mir keinen gezeigt. Bei meinem zweiten Mann haben sie sogar gesagt, ich solle ihn mir besser nicht ansehen. Aber komisch ist es doch. Vielleicht hätte ich darauf bestehen sollen? Was meinst Du?“
    Mike antwortete aufrichtig. „Das zählt alles zur Vergangenheit. Du solltest besser im Hier und Heute leben.“
    „Das sage ich mir auch immer. Und das mache ich ja auch! Aber manchmal quält mich die Frage nach dem Warum trotzdem. Und die Frage, was wohl aus Sonja werden wird! Heute hat sie nur zwei bis drei Teelöffel von ihrem Brei essen wollen. Ich mache mir richtig Sorgen.“
    In diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen und Bruno polterte ins Zimmer. „Aha“, sagte er, als er Mike sah – und grinste.
    Der Pfleger wandte sich Hildegard zu. „Ich wollte Dir sagen, dass Du Dir vorerst keine Sorgen wegen Sonjas Langzeitaufenthalt bei uns machen musst, Hildegard. Bis Anfang Februar kann sie bleiben. Dann entscheiden die Kassen neu.“
    „Denen hätte ich aber auch was gegeigt“, entgegnete Hildegard mit hoher Stimme. „ Jetzt will ich Dich mal was ganz anderes fragen, Bruno. Sonja hatte doch so schöne, blaue Augen. Jetzt sind die so seltsam trübe. Der Blick ist ganz anders, einfach furchtbar. Was ist mit ihren Augen? Sieht sie mich nicht mehr richtig?“
    Tatsächlich stierte die Kranke ins Leere. Mike erkannte auf den ersten Blick, dass sie blind war. Aber Hildegard sah das nicht.
    „Vielleicht ist es eine Nebenwirkung ihrer Aids-Erkrankung?“, fragte er vorsichtig.
    „Sonja hat doch kein Aids!“ Hildegard Merkel war entrüstet. „Sie hat HIV!“
    Bruno und Mike sahen sich an.
    Dann ergriff der Pflegehelfer das Wort. „Wie auch immer, Hildegard, Sonja kann hier bleiben. Die einstweilige Verfügung, die Du mit Deiner Rechtsanwältin erwirken wolltest, ist rechtsgültig geworden. Erst Anfang Februar muss die Hospizbedürftigkeit neu geklärt werden – das soll ich Dir von Falk Berger ausrichten. Im Februar wird Sonja schon ein Jahr hier sein und muss laut den Richtlinien anschließend in ein Pflegeheim.“
    „Das kann doch nicht wahr sein! Hier ist sie doch so gut aufgehoben.“ Hildegard Merkels Busen bebte vor Empörung. „Die sollen mal herkommen und sich selbst ein Bild von Sonjas Zustand machen. Oder?“
    „Naja“, meinte Bruno. „Am besten warten wir erst einmal ab. Bis dahin vergeht ja noch viel Zeit…“
    Hildegard kicherte. „Jede Menge Zeit, um Eierlikörkuchen zu backen, nicht wahr?“ Sie wandte sich Mike zu. „Ich backe nämlich jeden Freitag einen Eierlikörkuchen. Falls Du das Rezept haben möchtest, schreibe ich es Dir gerne auf.“
    „Gerne!“
    „Ich kann auch gern mal Rippchen kochen. Mit Rosenkohl und Kartoffeln. Meine Rippchen sind die besten in der Straße. Wenn Du sie mal probieren möchtest…“
    Mike bedankte sich erneut. Kaum hatte Bruno das Zimmer verlassen, steuerte er auf den Punkt zu.
    „Wie geht es Dir eigentlich damit, dass Du in einem Hospiz bist? Und damit, dass Sonja sterben wird?“
    „Es ist furchtbar“, sagte Hildegard. „Einfach widerlich. Ständig sterben hier die Menschen – wie die Fliegen. Hier war so ein

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