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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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Temperatur gefühlt hatte – schloss er seine Augen erschöpft.
    Zwei Minuten später schlief Professor Pellenhorn tief und fest, und der dicke Dietmar richtete das Wort an die entsetzte Gattin: „Das war schon der zweite Anfall. Ich kann mir wirklich nicht erklären, warum er solche Schmerzen erleidet. Bei der aktuellen Morphiumdosierung ist das völlig unmöglich. Wenn es noch einmal so weit kommt, rufen wir Dr. Aracelis. Ich werde jetzt einen Sprachcomputer bestellen. Dank diesem Gerät werden wir Ihren Mann morgen wieder verstehen können.“
    Gemeinsam verließen der Pfleger und der Psychologe  das Zimmer.
    Barbara Pellenhorn war völlig blass geworden. Sie strich sich fahrig durch die Haare und visierte Mike mit ihren grünen Augen. „Schrecklich, nicht wahr?“
    Der Journalist bejahte. „Sind Sie sicher, dass Ihr Mann wirklich Schmerzen hat? Oder bedrückt ihn etwas Psychisches?“
    „Bestimmt steckt die Krankheit dahinter“, entgegnete Barbara. „Bis vor kurzem war er noch so glücklich. Er betrachtete die Menschen in Haus Holle als seine Freunde. Erst kurz nach dem Tod des alten Ehepaars, das am Ende dieses Flurs wohnte, verschwand sein Humor spurlos. Dass Herr und Frau Knopinski so plötzlich verstorben sind, bedrückt ihn anscheinend sehr. Leider kann ich ihn nicht fragen, warum. Ehrlich gesagt, kann ich mir darauf keinen Reim machen.“
    „Wie eng war Ihr Kontakt zu den alten Knopinskis?“
    „Gar nicht eng, das ist ja so komisch!“ Barbara sah Mike verzweifelt an. „Wir fanden den alten Herrn sogar entsetzlich. Seine Ausstrahlung war düster, er wirkte furchtbar gehässig. Bertholds ganzes Mitleid galt seiner armen Gattin.“
    „Kannten Sie die beiden von früher?“
    „Interessant, dass Sie das fragen. Berthold und ich haben auch schon darüber nachgedacht. Irgendwie kam es uns so vor, als hätten wir Knut Knopinski schon einmal gesehen. Aber wir waren so viel in der Welt unterwegs – und hatten mit so vielen Menschen zu tun, dass wir uns einfach nicht mehr an jedes Gesicht erinnern können. Trotzdem würde ich diese Frage bejahen. Ich glaube, dass wir Herrn Knopinski zumindest einmal in unserem Leben begegnet sind. Aber damals muss er noch ganz anders ausgesehen haben. Bestimmt war er noch nicht so aufgedunsen.“
    „Und wenn Sie spontan antworten müssten: War es eher eine berufliche oder eine private Begegnung, die Sie und Herrn Knopinski schon mal zusammengeführt hat?“
    „Beruflich!“ Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. „Es kann nur beruflich gewesen sein. Aber wie und wo – daran kann ich mich wirklich nicht erinnern.“ Müde blickte Barbara ihren schlafenden Mann an. „Er leidet so sehr. Ich habe das seltsame Gefühl, dass er mir etwas sagen möchte. Doch ich verstehe ihn nicht mehr!“
    Mike nickte. „Könnte sich die Anstrengung Ihres Mannes, krampfhaft etwas sagen zu wollen, auch auf einen der anderen Hausbewohner beziehen? Wie kam er mit den anderen Gästen aus?“
    „Extrem gut“, sagte Barbara Pellenhorn. „Bertholds Sorge galt niemals sich selbst, sondern immer Frau Prinz, Frau Schiffer und Frau Krause. Er merkte genau, wie sehr diese drei Damen gegen das Loslassen und das Sterben kämpfen. Wenn ich noch eine Aufgabe habe , gestand mir Berthold vor zwei Wochen, dann die, diesen Frauen Mut zuzusprechen .“
    „Und was denken Sie darüber?“
    Frau Pellenhorn sah ihn klug an. „Ich möchte Ihnen etwas anvertrauen. Anderen Menschen kann man immer nur vor die Stirn schauen, aber niemals, niemals hinein. Jeder Mensch ist sein eigener Kosmos. Genau so wenig, wie ich mir ein Bild über jemanden anderen machen kann, kann ich wissen, welches Bild sich andere Menschen von mir machen – und wie ich auf sie wirklich wirke. Jeder Interpretationsversuch ist in Wahrheit nur eine Momentaufnahme. Ich wandle durchs Leben und weiß nicht, was ich für andere darstelle – genau so wenig, wie ich erahnen kann, ob Sie mich gerade ganz geschickt ausfragen wollen.“
    „Natürlich nicht“, sagte Mike. „Haben Sie dafür ein Beispiel für die Undurchsichtigkeit anderer Menschen?“
    „Klar.“ Barbara Pellenhorn setzte sich auf. „Sie kennen doch das Phänomen, dass man ein bestimmtes Lied mit einem Menschen verbindet, oder? Wenn im Radio der Song Cien anos pienso en ti von Pedro Infante läuft, muss ich immer an Berthold denken. Dieses Lied wurde gespielt, als ich ihn zum ersten Mal sah. Nun stellen Sie sich einmal vor, dass es anderen Menschen genau so geht. Aus

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