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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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Und noch immer bin ich nicht stark genug und mein Bauch wird immer dicker. Aber das kommt von den Krafttabletten. Da bin ich mir ganz sicher.“ Ihre Stimme wurde verschwörerisch. „Wissen Sie – in diesem Haus bin ich wahrscheinlich die einzige Person, die nicht krank ist. Die anderen… wir wollen nicht darüber reden. Frau Schiffer wird mit jedem Tag gelber. Ich tippe auf eine innere Vergiftung. Oder vielleicht trinkt sie? Ich will es nicht wissen. Und die rote Hundezüchterin? Furchtbar quengelig, will ich meinen. Geht neuerdings immer öfter am Stock. Und dann der schreckliche, rauchende Mann mit der seltsamen Frisur. Was meinen Sie zu der Beule an seinem Hinterkopf? Adolf  Montrésor soll er heißen. Wohnt schräg gegenüber von mir.“
    „Sehen Sie Ihre Zimmernachbarn oft?“
    „Nur, wenn ich die Tür einen Spalt öffnen würde“, antwortete Klärchen. „Aber andererseits könnte das auch falsch interpretiert werden – etwa, dass ich auf Herrenbesuch aus wäre. Wissen Sie, früher habe ich auf einem Hof gearbeitet. Da gab es nur den Bauern und mich. Und natürlich seine Frau. Wunderbar, diese Sendung namens Bauer sucht Frau : Wenn ich hier raus bin, werde ich mich da bewerben.“ Ihr Blick wanderte zu dem schwarzen Negligé.
    „Wann werden Sie entlassen, Frau Krause?“
    Empört richtete Omi sich auf. „Wie können Sie von entlassen reden? Ich kann das Haus jederzeit verlassen. Schließlich bin ich kein bisschen krank. Bloß ein wenig aus der Form. Ich gehe, sobald es draußen warm ist. Im Frühling. Aber vorher werde ich noch von der knusprigen Weihnachtsgans kosten. Kostja soll mir dazu eine extra dicke, braune Sauce und riesige gelbe Knödel zubereiten – so wie wir sie früher gegessen haben. Als ich noch auf dem Hof lebte.“
    „Wie war das Leben auf dem Hof? Und was haben Sie dort gemacht?“
    „Ach, dort war es schrecklich einsam. Hätte ich meine Tochter Sabine nicht gehabt… bestimmt wäre ich oft durchgedreht. An manchen Abenden konnte ich nur stricken. Die Bäuerin meinte es gar nicht gut mit mir. Sie war schrecklich eifersüchtig. Ständig glaubte sie, dass ihr Mann und ich… Dabei war es nach dem Krieg so schrecklich kalt in dem Gehöft. Es gab ja nicht mal eine Heizung. Man musste näher aneinanderrücken. Dadurch kam es zu Gerede.“ Ihre Lippen wurden dünn. „Auch ein Bauer sehnt sich doch nach etwas Wärme. Sie sehen es doch selbst, im Fernsehen…“
    Omi strich über ihre Schenkel, auf denen ein voller Urinbeutel lag. „Ich meine, ich kann ja froh sein, dass er mich überhaupt genommen hat, zur Unterstützung für die Kühe. Und zum Ausmisten der Ställe. Manche Juden sollen ja… man hat ja einiges gehört. Auf dem Land war das nicht so. Hitlers Schergen sind nie gekommen. Der Bauer hat mich Tag und Nacht beschützt. Verstehen Sie?“
    „Sie sind Jüdin?“
    „Ja. Aber Zeitungen… die hat der Bauer mir nie gegeben. Ich habe nichts von den Gräueltaten mitbekommen. Die Reichskristallnacht! Der Holocaust! Die Konzentrationslager! Von all diesen Dingen hörte ich erst später. Ich war immer in meiner kleinen Kammer. Und ich war zufrieden! Ich bin nicht der Typ, der aufmuckt. Nicht meckern – das habe ich meiner Tochter Sabine auch immer gesagt. Auch als der Bauer sie wärmen wollte. Sabine , habe ich gesagt, er meint es gut mit Dir, er wird Dir helfen . Jetzt arbeitet meine arme Tochter in einer Textilwäscherei. Aber natürlich kommt nicht mal eine Mutter immer gut aus mit ihrer Tochter. Sie wissen schon, wenn zum Beispiel ein Mann zwischen Mutter und Tochter steht. Der Bauer mochte mich, aber er mochte auch Sabine. Er war doch ihr Vater.“
    Mike war schockiert.
    Mit Abgründen, wie Klärchen sie offenbarte, hätte er niemals gerechnet. Der Reporter schluckte sein Entsetzen hinunter, und sah, wie die schweißnasse Frau ihren nassen Unterrock anhob, der pappig an den Schenkeln klebte.
    „Und Herr Knopinski?“, fragte er direkt.
    „Der hatte den bösen Blick“, sagte Omi. „Er sah mich immer so komisch an. Einmal war er sogar hier im Zimmer. Wir wohnten ja nebeneinander. Aber seine Frau… Das war vielleicht eine… ich komme gar nicht auf das Wort. Ja – ich meine Eifersucht. Sie war eifersüchtig auf mich, obwohl sie sich als was Besseres fühlte. Natürlich, ich bin arm. Aber hatte der alte Knopinski deshalb das Recht, auf mich hinabzublicken oder nachts in mein Zimmer zu kommen, und schmutzige Sachen von mir zu verlangen? Ich weiß es selbst nicht… Was meinen

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