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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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ihn von früher?“
    „Definitiv nicht. Diesen alten Sadisten hätte ich niemals vergessen.“ Ächzend erhobt sich Montrésor aus seinem Massagesessel und stakste auf sein Krankenbett zu. „Drücken Sie mir die Daumen, dass die Quarantäne meiner Frau so rasch wie möglich aufgehoben wird. Ich werde diese Welt nicht verlassen, bevor ich meine Lisa nicht in den Armen gehalten habe, und wir uns verabschieden können, wie wir immer gelebt haben – wie zwei Liebende.“
     
    Annette und Angie lagen im Bett von Zimmer 10. Die Frauen schauten Downton Abbey , als Mike eintrat.
    „Wie viele Jahre ist es her, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben?“, fragte Annette, hievte sich aus der Horizontalen und schlüpfte in ihre Pantoffeln.
    Mike überlegte. „Bestimmt sieben Jahre…“
    „Wie ist es Dir in der Zwischenzeit ergangen?“
    „Ganz in Ordnung“, verriet Mike. „Außer, dass mein Vater hier liegt. Das hat mich aus der Bahn geworfen.“
    „Und dann treffen wir uns auch noch zufällig hier wieder“, meinte Angie. „Als wir uns unten zum ersten Mal gesehen haben und Du gegrüßt hast, habe ich gleich zu Annette gesagt, dass Du nicht ahnst, weshalb wir hier sind.“
    Mike erinnerte sich nur allzu gut an die Situation. Kaum war sein Vater nach Haus Holle gekommen, hatten er und seine Mutter ein Aufklärungsgespräch von Dr. Coppelius bekommen. Als er sich umgeblickt hatte, standen Annette und Angie vor der Kaffeemaschine. „Hätte ich mir ja denken können, dass die sich hier sozial engagieren“, war sein erster Gedanke gewesen. Doch kurz darauf hatte ihm Mutter Merkel von Annette erzählt, die so viel Leben in die Bude brachte und gemeinsam mit ihrer Ehefrau in Haus Holle wohnte. In diesem Moment war Mikes Groschen gefallen, und die Erkenntnis hatte einen Schock ausgelöst.
    Koch Kostja hatte das sofort bemerkt und Mike einen Schnaps angeboten. Der Reporter kippte zwei hinunter. 
    „Wie seid Ihr überhaupt hier gelandet?“, fragte er das lesbische Paar, dem er im Laufe der letzten Jahre sporadisch auf Straßenfesten oder in Discotheken begegnet war.
    „Letztes Jahr um diese Zeit war noch alles völlig normal, Mike“, sagte Annette. „Angie hatte kurz vorher ihre Ausbildung abgeschlossen und wir waren in eine neue Wohnung gezogen. Danach planten wir den Sommerurlaub: Wir wollten einen vierwöchigen Amerikatrip machen. Alles war bereits gebucht. Doch zwei Tage vor der Abreise wurde mir plötzlich so speiübel – dass kannst Du Dir gar nicht vorstellen.“
    „In Annettes Zustand konnten wir nicht verreisen“, fügte Angie hinzu. „Bei ihr kam alles Essen raus – oben und unten. Mit einem Mal lag sie im Bett, und schrie vor Schmerzen. Natürlich wollte ich Annette zum Arzt fahren, aber sie konnte sich nicht mal mehr richtig im Bett aufsetzen. Da habe ich den Notarzt gerufen.“
    Angie zündete sich eine Zigarette an. „Im Krankenhaus erwartete uns die Pest. Abgesehen davon, dass es mit Annette immer mehr bergab ging, stand die Lebensquantität dort deutlich über der Lebensqualität. Am Anfang lag eine 94-Jährige auf Annettes Zimmer, die plötzlich starb und reanimiert wurde. Wozu, fragte ich mich? Das Schlimmste jedoch war das Warten auf Annettes Diagnose. Und als Erstes machten die Ärzte einen HIV-Test – nach dem Motto: Die ist ja lesbisch. Dabei lautete Annettes finale Diagnose, wohlgemerkt nach einer Woche, ganz anders: Aggressiver Speiseröhrenkrebs!“
    „Das war ein unglaublicher Schock“, meinte Annette. „Ich erinnere mich an nichts mehr aus dieser Zeit. Die Schmerzen waren unerträglich.“
    „Trotzdem durften wir den Alarmknopf nicht zu oft drücken, wobei zu oft eine gefühlte Sache war. Manche der Schwestern machte ein langes Gesicht, wenn wir schon wieder nach ihnen riefen. Aber uns blieb keine andere Wahl. Annettes Schmerzmittel reichten nicht aus. Häufig schrie sie wie am Spieß. Die Ärzte wussten viel zu wenig über Morphium, und gaben ihr nur kleine Dosierungen. Ich dachte wirklich, dass meine Frau stirbt. Zuletzt war Annette regelrecht krankenhaustraumatisiert.“
    „Bei meinem Vater war das besser“, sagte Mike. „Er war x-mal im Krankenhaus – mal wegen einer Blutvergiftung, dann wegen der Nebenwirkungen der Chemo. Am Ende kam er in ein so genanntes Palliativ-Zimmer am Ende des Klinikflurs. Dort konnten ihn die Pfleger per Kamera überwachen. Als er schließlich abgeholt wurde, um hierher zu übersiedeln, bildeten die Schwestern ein Spalier zum Abschied. Das

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