Die florentinische Prinzessin
räusperte sich Charles und sagte: »Willkommen, Madame Grand—mère .«
Ich lächelte ihn an. »Mein Kind, du bist ja groß geworden! Fast schon ein Mann, hm? Kommt, ich habe ein paar Geschenke für euch.« Meine Enkelin strahlte. Ich wandte mich an meine Vertraute. »Lucrezia, zeig Christina ihr neues Kleid. Ich glaube, es hat die perfekt zu ihrem Teint passende Farbe.«
Während Christina entzückt über das rosafarbene Samtkleid war, das meine Hofdamen aus einem meiner alten Hofgewänder geschneidert hatten, brachte mir Anna-Maria ein in kastanienbraunes florentinisches Leder gebundenes Buch, das ich eigens für Charles in Italien hatte drucken und binden lassen. Sein Name prangte in Blattgold auf dem Deckel.
Ich reichte es ihm mit den Worten: » Der Fürst von Machiavelli. Mein Lieblingsbuch. Ich glaube, du bist jetzt alt genug, um seine Weisheit zu schätzen zu wissen.«
Er betastete das Buch, als wäre es ein Edelstein. »Danke«, flüsterte er und bekam die gleichen leuchtenden Augen wie mein verstorbener Sohn, wenn ich ihm einen neuen Falken oder Jagdhund schenkte. Nur war dieser Charles eindeutig ein Bücherwurm. Die Ehrfurcht, mit der er sich zum Fenster zurückzog, um das Werk sogleich aufzuschlagen, bewies mir, dass er an Schwertern oder Rüstungen nie Gefallen finden würde.
Zufrieden mit der einfachen Freude, wieder Kinder um mich zu haben, schloss ich die Augen und lehnte mich zurück.
Am Abend besuchte ich Claude. Ein Blick auf ihren ausgemergelten Körper und ihr sanftes Lächeln genügte, und mein Herz wurde schwer. Dennoch umsorgte ich sie mit fröhlicher Miene, kramte meinen zerbeulten Kochtopf und die Kräuter hervor und begann, einen Trank aus Essenzen und Rhabarber für sie zu kochen, während Lucrezia die Bediensteten herumscheuchte.
Zwei Monate lang stand ich früh am Morgen auf, badete meine Tochter und half ihr zu einem Stuhl vor dem Fenster mit Blick auf den Garten. Manchmal las ich ihr etwas vor. An anderen Tagen saßen wir einfach da, während sie in den Garten hinausschaute und lächelte, wenn sie ihre kleine Tochter mit Margot lachen hörte.
»Margot ist voller Leben, als wäre sie selbst noch ein Kind«, sinnierte Claude. »Sie wäre eine gute Mutter. Ihr müsst zusehen, dass sie und ihr Gemahl wieder vereint werden. Sie braucht ein eigenes Kind.«
Ich lächelte und musste Tränen wegblinzeln, als ich erkannte, wie einfühlsam sie war und wie wenig wir alle von ihr gewusst hatten.
Eines Augustnachmittags erwachte ich aus einem leichten Schlummer und bemerkte, dass ihr Blick auf mir ruhte. Auch wenn sie nie schön gewesen war, besaß sie eine flüchtige Anmut, und ihre großen braunen Augen beherrschten das zarte Gesicht. Mit leiser Stimme sagte sie: »Ich bin müde, Maman.«
Mir schnürte sich die Kehle zu. Nun stand ich davor, diejenige Tochter zu verlieren, der ich das geringste Augenmerk geschenkt und der die stoische Hingabe an ihre eigene Familie die Exzesse bei uns am Hof erspart hatte. Zu spät erkannte ich, dass von uns allen Claude die Klügste gewesen war. Sie hatte es am besten verstanden, sich dem Schmerz und der Raserei, die unser Leben charakterisierten, zu entziehen.
Ich wollte aufstehen und ihr zurück ins Bett helfen, doch sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich möchte hier beim Fenster bleiben. Ruft die anderen.«
Einer nach dem anderen kamen sie herein: ihr trauernder Gemahl, der sie liebte, wie nur wenige Männer ihre Frau lieben; ihre Lieblingsbediensteten; die hingebungsvolle Amme, die ihr kleinstes Mädchen, Antoinette, pflegte, und ihr Sohn Charles, der sich ihr mit bebendem Kinn näherte. Christina ließ ich unterdessen mit Anna-Maria in meinen Gemächern spielen, denn sie war noch zu klein für eine solche tieftraurige Szene.
Als ich so dastand und mich an Lucrezias Hand klammerte, kam Margot herein, und das weckte Erinnerungen an die Zeit, als sie und Claude Säuglinge gewesen waren, die eine forsch und immer voller Hunger nach Beifall, die andere solide und bescheiden, stets zufrieden damit, sich im Hintergrund zu halten.
»Ich war dir keine gute Schwester«, murmelte Margot, als sie vor Claude kniete. »Bitte vergib mir.«
»Es gibt nichts zu vergeben.« Claude legte Margot die Hand an die Wange. »Du musst liebevoll zu Maman sein. Respektiere und unterstütze sie, denn jetzt bist du ihre einzige Tochter. Versprich mir das.«
»Ich … ich verspreche es.« Margot wandte sich ab. Dabei begegneten sich unsere Blicke, und einen kurzen Moment
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