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Die florentinische Prinzessin

Die florentinische Prinzessin

Titel: Die florentinische Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher W. Gortner
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gestützt, ließ er sich von mir aus dem faulig stinkenden Zimmer hinausführen, als wäre ich das Letzte auf der Welt, das ihm noch Halt geben konnte.
    Als Stunden später der Abend am gefrorenen Winterhimmel dämmerte, kehrte ich in meine Gemächer zurück. Von Dr. Paré mit Rhabarber und Mohn behandelt, war Henri in einem von seinen Gemächern weit entfernten Zimmer zu Bett gebracht worden, während Birago sich um Guasts Leiche und die Reinigung der Königssuite kümmerte.
    Lucrezia und Anna-Maria warteten bereits. Bei ihnen war auch Margot, die auf einem Hocker saß und meine inzwischen sechzehnjährige, altersschwache Muet in den Armen wiegte. Als ich langsam eintrat, weil ich mich vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten konnte, legte Margot Muet auf ihr Kissen. »Hercule ist in Chambord«, erklärte sie. »Ich habe in bestimmten Kreisen bekannt gegeben, dass ich ihn sprechen möchte. Mehr als ein bisschen Bestechung war nicht vonnöten.«
    Ich beäugte sie argwöhnisch. Aus schmerzhafter Erfahrung hatte ich gelernt, dass Margot nie ohne einen Grund handelte. Warum also gab sie mir diese Information? »Chambord ist ein Jagdschloss«, sagte ich. »Um diese Jahreszeit steht es immer leer. Wieso sollte er ausgerechnet jetzt dort hingehen, ganz allein?«
    »Weil er nicht allein ist. Er hat Begleiter. Chambord bietet genügend Platz.«
    »Begleiter? Wie viele genau sind dort?«
    »Laut Gerücht hat er eine Armee zusammengestellt und beabsichtigt, sie gegen Henri marschieren zu lassen.« Auch wenn sie Neutralität vorgab, hörte ich zum ersten Mal seit ihrem schrecklichen Racheakt ein ängstliches Beben in ihrer Stimme. »Hercule ist ein Idiot«, fuhr sie fort. »Er weiß nicht, was er tut. Ich … ich will nicht, dass ihm ein Leid geschieht. In dieser Familie ist schon genug Blut vergossen worden.«
    »Ach ja?« Ich sah ihr fest in die Augen. »Nun denn, dann fahren wir morgen nach Chambord. Und ich habe einen Vorschlag für dich: Wenn du Hercule wirklich liebst, findest du auch einen Weg, ihn zur Vernunft zu bringen, ehe es zu spät ist.«

35
    Von Wächtern eskortiert, reisten wir ins Loire-Tal. Ich befragte Margot ausführlich, entdeckte aber kein verborgenes Motiv, keinen anderen Grund als den aufrichtigen Wunsch, Hercule vor Henris Zorn zu bewahren. Ich fragte mich, ob ihr unsere gemeinsame Trauer um Claude tatsächlich die Augen geöffnet und sie eingesehen hatte, dass wir alles waren, was sie hatte, und dass sie ohne uns allein auf dieser Welt wäre. Die enge Beziehung zu Hercule, die sie seit dem Massaker entwickelt hatte, widerstand jedem Erklärungsversuch, aber ich wertete ihre Besorgtheit um ihn als Zeichen dafür, dass sie nicht so herzlos war, wie sie wirkte. Hercule hatte seit seiner Kindheit gelitten. Von den Pocken entstellt, am Hof zur Witzfigur degradiert, war er jetzt in eine Position gedrängt worden, die auszufüllen er nicht in der Lage war. Bei der Erinnerung an die Worte, die sie bei Henris Rückkehr gesagt hatte, fragte ich mich allerdings, ob sie nicht vielleicht sogar Teile von sich selbst in ihrem jüngeren Bruder wiedererkannte, denn in mancherlei Hinsicht war auch sie eine Außenseiterin: verheiratet, doch ohne Gemahl, kinderlos und Treibgut in einer Welt, in der sie nicht mehr die Rolle der verwöhnten Muse spielen konnte.
    Doch was immer es war, ich brauchte sie jetzt. Wenn jemand Hercule zur Einsicht bringen konnte, dann sie. Und dass das dringend nötig war, zeigte sich, als wir uns dem Jagdrevier von François I. näherten und vor dem Schloss ein Meer von Zelten vorfanden, bei denen sich Hunderte von Männern tummelten.
    Mit einem Ruck hielt die Kutsche an. Vor einem Bataillon von Gaffern stiegen Margot und ich aus. Nie hätte ich Hercule zugetraut, dass er eine solche Schar um sich sammeln würde – genug, um eine ganze Stadt zu belagern! Ich roch ungewaschene Körper, sah mich lüsternen Blicken ausgesetzt. Der Bodensatz der Gesellschaft, der in finsteren Seitengassen gedieh und gegen Bezahlung jedes Verbrechen beging. Das war die Armee meines Sohnes, eine Bande von verarmten Söldnern, Straßenräubern, Mördern und Strauchdieben. Selbst seine Apanage reichte nicht annähernd aus, um diese widerwärtige Meute zu befriedigen.
    Ich zögerte. Eindeutig hatte jemand anders für all das hier gezahlt. Konnte das Navarra sein? Seit ich den Dolch gesehen hatte, war mein Argwohn erwacht. Navarra war mir eigentlich nie draufgängerisch vorgekommen. Die Kapuzenmänner wie auch

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