Die Flotte von Charis - 4
Sicht der Dinge verkündet, und die ›Vierer-Gruppe‹ will ganz sichergehen, dass ihre eigene Fassung in sich stimmig wirkt und die Öffentlichkeit sie einfach hinnimmt, bevor noch irgendeine unbequeme kleine Wahrheit ans Licht kommt, die zu Zweifeln an der offiziellen Fassung‹ führen könnte.«
»So sehr ich Clyntahn auch verabscheue, ich verstehe sehr wohl, warum er so vorgeht, Samyl«, meldete sich Vikar Hauwerd Wylsynn zu Wort. Hauwerd sah seinem älteren Bruder erstaunlich ähnlich, er hatte die gleichen kastanienbraunen Haare und die gleichen grauen Augen, allerdings war er Mitglied des Langhorne-Ordens, kein Schuelerit. Und im Augenblick war sogar sein Gesichtsausdruck ebenso grimmig wie der seines Bruders Samyl.
»Ach, verstehen tun wir das alle, Hauwerd«, gab Samyl zurück. »Und zweifellos haben sie auch recht damit, dass praktisch alle Festlandbewohner, die diese ›offizielle‹ Fassung zu hören bekommen, diese viel eher glauben werden als die der Charisianer − vor allem, wenn sie die ›Kirchen-Variante‹ zuerst gehört haben, sodass diese sich schon in ihren Köpfen festsetzen konnte. Bedauerlicherweise wird von der Gegenseite niemand auch nur ein einziges Wort davon glauben, und dass die Kirche hier ganz offensichtlich Lügen verbreitet, ist nur noch ein weiterer Nagel in dem Sarg, in dem doch schon jetzt jegliche Hoffnung auf eine Aussöhnung ruht.«
»Wie realistisch ist diese Hoffnung überhaupt?«, fragte nun Vikar Chiyan Hysin.
Hysin gehörte einer der einflussreichen Dynastien aus Harchong an. In jenem Reich waren, ungleich mehr als in den meisten anderen Reichen auf Safehold, der Adel und die traditionellen Kirchendynastien praktisch identisch, und Hysins älterer Bruder war ein Herzog. Trotzdem, und trotz der harchongesischen Tradition des arroganten Auftretens und des extremen Konservatismus, war Hysin bereits Mitglied des ›Kreises‹, seit man ihn zum Unterpriester geweiht hatte. Es gab einige Punkte in der Reformierungslehre, in denen er und Wylsynn nicht einer Meinung waren, doch sein Doppelstatus als weltlicher Aristokrat und als Ritter der Tempel-Lande gestatteten ihm oft unschätzbar wertvolle Perspektiven. Im Gegensatz zu den meisten anderen Mitgliedern des ›Kreises‹ − einschließlich, wie Wylsynn sich eingestehen musste, ihm selbst −, hatte Hysin schon immer jegliche Möglichkeit einer friedlichen Lösung dieses charisianischen Schismas mit Skepsis betrachtet.
»Ich weiß nicht, ob jemals eine wirklich realistische Hoffnung bestanden hat«, gab Wylsynn nun zu. »Aber ich weiß, dass, falls es jemals eine derartige Hoffnung gab, die ›Vierer-Gruppe‹ nun ihr Bestes tut, genau diese Hoffnung so rasch wie möglich auszumerzen. Sie planen nicht nur, jeden Delferahkaner, der in Ferayd gestorben ist, zu einem Märtyrer von Mutter Kirche zu ernennen − sie haben auch noch die Absicht, Cayleb zu exkommunizieren, den gesamten Klerus der ›Kirche von Charis‹, jeden einzelnen charisianischen Adeligen, der Caylebs Thronfolge und Staynairs Ernennung zum Erzbischof akzeptiert hat und auch noch Nahrmahn, dessen gesamte Familie und jeden anderen, der ihn dabei unterstützt oder sich daran beteiligt hat oder der auch nur stillschweigend die Entscheidung des Prinzen hingenommen hat, mit Cayleb in Verhandlungen zu treten. Und wo sie gerade schon dabei sind, wollen sie auch noch ganz Emerald und ganz Charis mit dem Interdikt belegen.«
»Die haben den Verstand verloren, Euer Exzellenz!«, platzte es auch Cahnyr heraus.
»Ganz genau danach sieht es aus, nicht wahr?«, pflichtete Wylsynn ihm bei. »Tatsächlich ist das Einzige, was mich daran so überrascht hat, als ich davon erfuhr, dass sie tatsächlich nicht auch noch den einen Schritt weitergegangen sind und schon jetzt einen Heiligen Krieg ausgerufen haben. Clyntahn beispielsweise hält das nicht nur für unausweichlich, sondern kann es, so will es mir scheinen, anscheinend überhaupt nicht mehr abwarten.«
»Die haben den Heiligen Krieg nur deswegen noch nicht ausgerufen, weil zumindest Trynair klug genug ist zu begreifen, dass sie dafür erst einiges an Vorarbeit leisten müssen«, erklärte Hysin. Die anderen blickten ihn an, und der fast schon schmächtige, dunkelhaarige Vikar zuckte mit den Schultern. »In der gesamten Geschichte der Welt hat es noch nie einen Heiligen Krieg gegeben«, betonte er. »Zumindest nicht, seit Shan-wei besiegt wurde. Selbst die Rechtgläubigsten werden Skrupel haben, sich an die
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