Die Flotte von Charis - 4
unzufrieden sowohl der Oberkommandeur der Navy als auch der der Army von Corisande war, konnte man ihnen deutlich ansehen. Coris schürzte die Lippen.
»Was wäre Ihnen denn lieber? Dass ich irgendwelche heldenhaften Geschichten erfinde, um effizienter zu wirken? Wir haben keinen einzigen Zeugen. Der Einzige, der die Attentäter mit eigenen Augen gesehen hat, ist tot, und das bedeutet, dass wir noch nicht einmal eine Beschreibung haben − und die Armbrüste befanden sich immer noch in dem Raum, von dem aus sie abgefeuert wurden. Die Attentäter haben die Waffen einfach fallen lassen und sind verschwunden. Der Raum selbst gehört zum Bürotrakt eines Kontors, das schon seit Monaten leersteht. Niemand hat die Attentäter ankommen sehen, niemand hat gesehen, wie sie die Schüsse abgegeben haben, und niemand, wie sie wieder verschwunden sind. Wir könnten diese Waffen nicht einmal dann mit irgendjemandem in Verbindung bringen, wenn wir schon irgendwelche Verdächtigen in Gewahrsam hätten!«
»Beruhigen Sie sich, Phylyp«, sagte Hektor und wandte sich von dem Fenster ab, durch das er bis eben zum Hafen hinausgeblickt hatte. Sein linker Unterarm lag geschient und eingegipst in einer Schlinge, und so sanft seine Worte auch geklungen hatten, sein Mund war in einer Art und Weise angespannt, die nichts mit dem Schmerz in seinem gebrochenen Arm zu tun hatte.
»Wie soll ich mich denn angesichts dessen beruhigen?«, entfuhr es Coris. »Die Feiglinge hätten Euch heute um ein Haar umgebracht, Hektor! Versteht Ihr das denn nicht?«
»Glauben Sie mir, ich verstehe das nur allzu gut.« Plötzlich klang Hektors Stimme härter und kälter. »Und ich möchte, dass Sie sich um die Familie von diesem Gardisten kümmern − von diesem Ahndrai. Mit dem, was ihn das Leben gekostet hat, hat er nicht nur das meine gerettet, er war auch der Einzige aus der ganzen Abteilung, der die Attentäter überhaupt gesehen hat. Von dieser Art Männer gibt es einfach nicht genug. Die gibt es nie. Also sorgen Sie dafür, dass seine Familie erfährt, wie dankbar ich ihm bin. Sie sollen wissen, dass es ihnen niemals an irgendetwas mangeln wird.«
»Selbstverständlich«, bestätigte Coris deutlich ruhiger.
»Gut.«
Hektor wandte sich wieder dem Fenster zu, dann blickte er auf, als die Tür des Konferenzzimmers geöffnet wurde und mit raschen Schritten eine hochgewachsene, junge Frau eintrat. Ihr Haar hatte die gleiche Farbe wie das Hektors, die haselnuss-braunen Augen hingegen hatte sie von ihrer verstorbenen Mutter geerbt.
»Vater!« Die Frau, die gerade hereingekommen war, trug schlichte Reitkleidung. Ihr Haar war vom Wind zerzaust, und ihre braunen Augen wirkten noch dunkler als sonst; ihre Miene verriet unendliche Besorgnis. »Ich bin gerade erst zum Palast zurückgekommen und habe erfahren, was passiert ist.«
»Mir geht es gut, Irys«, sagte Hektor und streckte ihr den unverletzten Arm entgegen. »Ein Arm ist gebrochen, aber abgesehen davon bin ich wohlauf, wirklich.«
Prinzessin Irys ließ sich den unverletzten Arm ihres Vaters um die Schulter legen, doch zugleich lehnte sie sich ein wenig zurück und blickte ihrem Vater skeptisch in die Augen. Er wusste nicht genau, was seine Tochter in seinem Blick suchte, doch was auch immer es sein mochte, sie schien es schon gefunden zu haben, und ihre unverkennbar verkrampften Schultern entspannten sich ein wenig.
»Ja«, sagte sie leise. »Das bist du wirklich.«
Erst jetzt schlang sie die Arme um ihn, drückte ihn fest an sich und legte ihre Wange an seine Schulter. Er spürte, wie die Anspannung seine Tochter verließ, und drückte die Lippen sanft auf ihr Haar.
Sie ist so groß geworden, dachte er. Ihrer Mutter so ähnlich. Wo sind nur all die Jahre hingegangen?
»Besser?«, fragte er nach einer kurzen Weile, und seine Tochter holte tief Luft und nickte dann.
»Besser«, bestätigte sie, ließ ihren Vater los und wandte sich den anderen drei Männern in diesem Raum zu.
Natürlich kannte Irys sie alle. Sie hatte ihnen − und ihrem Vater − sogar schon oft dabei geholfen, über die unschöne Lage nachzudenken, in der sie sich befanden. Obwohl Irys Daykyn siebzehn Jahre alt war, hätte man sie wohl kaum als typische ›Heranwachsende‹ bezeichnen können, und sie verstand die Probleme, mit denen sie es hier zu tun hatten, ebenso gut wie jeder von Hektors − deutlich älteren − Ratgebern.
»Ich hörte, es seien Armbrüste gewesen«, sagte sie, und Hektor nickte.
»Waren es auch. Ahndrai
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